02. März 2016
Gestern wurde Robert Schindels Lesedrama „Dunkelstein“ im Theater Nestroyhof/Hamakom uraufgeführt. Ich habe Twitter als Form der live-Kritik ausprobiert. Das heißt Tippfehler und Ausdruck primärer Eindrücke und stellt vielleicht das krasseste Gegenstück zur traditionellen, journalistischen Theaterkritik dar.
Hier zum Protokoll:
Im Nachhinein interpretiere ich: Der Vorhang der Geschichte wird aufgezogen. Lion will die Materialität des Textes zeigen (also den Fakt, dass es ein Text ist, den jemand geschrieben hat, dass wir alle im Theater sind und das Kunst ist und nicht die Realität). Das verstehe ich allerdings erst am Schluss, als sich die Gaze wieder schließt, ein Schauspieler hervortritt und aus einem Buch „den Schluss“ vorliest.
Ich verstehe nicht, in welcher Zeit wir uns befinden oder an welchem Ort genau. Das Kostüm ist irgendwo zwischen 1930 und 2016 angesiedelt. Deshalb denke ich, man will auf die Zeitlosigkeit des Textes hinweisen. Aber ich kann mich durch die vielen Anspielungen und aufgrund meiner Verwirrung nicht richtig auf den Text konzentrieren.
Ich versuche immer noch zu verstehen, wo wir uns befinden bzw was die Raum-Konzeption der Inszenierung sein könnte.
Das sind schon schöne Symbole. Aber mir geht alles zu schnell irgendwie. Oder es ist einfach zuviel gleichzeitig: Text, Bild und Darstellung.
Das ist arg. So ein schönes Lied und dann so eingesetzt! Zum Höhepunkt der Szene bin ich dann so betroffen, wie ich es gerne sein möchte.
Er versucht mit einem Stab ein rotes Tuch vom Boden aufzuheben, aber es gelingt ihm nicht. Das wirkt komisch. Daneben steht Dunkelstein und sagt, dass die Synagogen brennen.
Schlussapplaus. Robert Schindel wird auf die Bühne gebeten.
Mein Fazit: Ich bin sehr froh, dass mir heute dieser Text vorgestellt wurde. Ich freue mich darauf, ihn bald zu lesen. Danke, Robert Schindel, Danke, Hamakom!
„Dunkelstein“ von Robert Schindel erlebt unter der Regie von Frederic Lion am 1. März 2016 im Nestroyhof / Hamakom seine Uraufführung. Der Text wurde 2010 im Auftrag des Wiener Volkstheaters produziert und als „Lesedrama“ im Haymon Verlag publiziert. Aufgrund der hohen Komplexität des Textes – stark verdichtete literarische Sprache, konzipiert für 42 Figuren – entschlossen sich Frederic Lion und sein Dramaturg Karl Baratta eine Spielfassung für acht Darsteller_innen zu erstellen.
Im Protagonisten, dem Rabbiner Saul Dunkelstein, verdichtet Robert Schindel die Ambivalenzen und Herausforderungen in der Israelitischen Kultusgemeinde Wiens unter der Kontrolle Eichmanns – vor allem aber die nie wieder gut zu machenden Gräueltaten, die Katastrophe, die man gar nicht in Worte fassen kann. Zugrunde liegt der Figur der Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein (Buch „Der Letzte der Ungerechten“, Campus 2011 mit Beiträgen von u.a. Doron Rabinovici /// Film von Claude Lanzmann).
Murmelstein (1905-1989) wurde von Eichmann (in Schindels Text: Linde) ausgewählt, die Ausreise von Juden und Jüdinnen aus dem 3. Reich zu organisieren. Später fungierte er als „Judenältester“ im Ghetto Theresienstadt. Bis heute ist umstritten, wie weit Murmelstein mit den Nationalsozialisten kollaborierte. Seine Position bezeichnet die dramatische Situation von „Dunkelstein“.