Teil 5 der Reihe “Thomas Köck und Wien. Der Anfang” [rezension]
Im Auftrag des Schauspielhauses Wien hat Thomas Köck eine Zukunftsphantasie entwickelt, in der alle vorhersehbaren Katastrophen eingetroffen sind. Übrig bleiben menschliche Hülsen, Liebe als fragile Hoffnung und widerständische, selbstorganisierte Strotter. Tomas Schweigen hat diese Welt kurzweilig, lustvoll und niederschwellig in den Gassen und Kellern des Alsergrundes inszeniert.
Leider keine weiteren Termine in Planung.
Der Einstieg in die Zukunft beginnt mit dem Aufsetzen silberner Kopfhörer vor den Toren des Schauspielhauses. So steht man in einer Gruppe von circa 20 Personen auf der Porzellangasse im Wiener Alsergrund und wartet. Wartet zu netter Musik (anzusiedeln zwischen 90er-Computerspielsound und Fahrstuhlgedudel, die akustische Vorstellung entspannter Wartezeit). Die weibliche computerisierte Stimme von THX, unserem Systemmanagementprogramm (Sophia Löffler), lädt uns ein, zu warten, ein bisschen noch, nur noch kurz.
„Ihre Route wird berechnet.“ – Aber ich weiß doch gar nicht, wohin, denk ich.
Ich sehe mich um, sehe das Publikum an, Passantinnen laufen zwischen uns durch. Nach Cellar Door bin ich auch etwas angespannt. Was erwartet uns da jetzt? Die geheimen Grundfragen an eine Performance stellen sich mir: Muss ich was machen? Werde ich dreckig? Passiert gleich was Arges? Da bittet mich plötzlich jemand um ein Feuer. Der Mann (Jesse Inman) ist ziemlich nervös und erklärt mir, oder besser uns, er suche seine Freundin. Er bittet uns, mit ihm noch hier zu warten. Sie komme bestimmt sofort. Obwohl, eigentlich ist er sich nicht sicher, was vereinbart wurde. Da schickt uns die Stimme in unseren Kopfhörern los auf die Wanderung.
Ich bin fasziniert, wie das Wandern in der Gruppe ohne Gruppenführer_in funktioniert. Die Stimme leitet uns quasi aus dem off. Wir folgen ihr. – Bis uns die Strotter (Steffen Link, Sebastian Schindegger) halb entführen halb einladen, von unserer computergestützten Route abzuweichen.
„Bier, Bier! Hier gibt es Bier!“ und damit einen Ausweg aus der vorgezeichneten Realität.
„Apokalypse“, Thomas Köck 2016: Die Realität in der wir temporäre Weggemeinschaft hier gelandet sind, findet in einer dystopischen Zukunft statt, in der saurer Regen halb Asien und maßlose Hitze den afrikanischen Kontinent verwüstet hinter sich gelassen haben. Die Menschheit hat sich entschieden nicht länger in ihrem eigenen Müll zu leben und den Computern die Verantwortung übergeben. Nun liegen menschliche Hülsen in einer der möglichen Welten herum, während THX die dazugehörigen Bewusstseins in einer Parallelwelt unterhält. Zumindest versucht sie es solange wir nicht zu Abtrünnigen des Computerprogramms werden.
In der Auslage des Café Berg gerade noch eine sanfte Liebesgeschichte verfolgt, entscheidet sich die Weggemeinschaft (oh, du revolutionäres Potenzial der Gruppe), THX zu verlassen und mit den Strottern zu fliehen. Herumliegenden Kleidungsstücken am Wegrand folgend finden wir uns in einer „Fleischerei“ für historische Alltagsgegenstände wieder. Der Wiener Fleischer (Sebastian Schindegger) bietet uns (Sind wir Gefangene, Gäste oder Eingedrungene?) Kostproben aus seinem Fundus an.
So wie die Frau im Bild habe ich ein Dia bekommen, das mit „Fasching 1988“ bezeichnet ist und ein leeres Tiefgaragen-Parkhaus zeigt. Der semantische Widerspruch von Titel und Bild ergibt für mich eine poetische Qualität, die mich das Geschenk sofort ins Herz schließen lässt. Vielen Dank dafür an dieser Stelle! Es ist schön, eine Erinnerung an die Welt in der man für 1,5 Stunden war mit nachhause nehmen zu können.
„Strotter“ ist die lustvolle Ausführung eines energetisch-energischen Konzepts vom Ende des Erdenlebens. Seine dramatische Handschrift beweist Thomas Köck auch hier: In aller Dystopie erleben wir mit ihm die Lust an der Menschlichkeit, den Spaß an der Phantasie und die Hoffnung auf die Möglichkeit von Gemeinschaft, Widerstand und – nicht zuletzt – Liebe. Thomas Köck ist das Augenzwinkern am Ende der Welt.