Ich treffe Stefan Wipplinger im charmanten Wiener Café-Restaurant “G’schamster Diener”. Wir essen gemütlich zu Abend bevor wir uns zu Fuß auf den Weg über den Margaretenpark ins Volx/Margareten machen um uns Wipplingers Wien-Erstling “Hose Fahrrad Frau” (inszeniert von Holle Münster – Prinzip Gonzo, dargestellt von Studierenden des Reinhardt-Seminars) anzusehen. Immer wieder unterbrochen vom sehr österreichischen Charm des Oberkellners entwickelt Wipplinger eine Forderung: Für eine neue Form des theatralen Realismus.


Wipplinger isst typisch österreichisch: Krenfleisch mit großem Bier. Der Wahl-Berliner genießt auf seinen Österreich-Besuchen gern das Daheimsein. Vor Kurzem hat er den Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste (UdK Berlin) abgeschlossen. “Hose Fahrrad Frau” ist sein erstes abendfüllendes Theaterstück. 2015 kursierte Wipplingers Text an den wesentlichen Sammlungsorten neuer deutschsprachiger Dramatik: dem Heidelberger Stückemarkt und dem Berliner Theatertreffen. Schon im letzten Jahr wurde das Volkstheater Wien auf Wipplinger aufmerksam.
Stefan Wipplinger: “Ich freue mich sehr, dass gerade das Volkstheater die Uraufführung macht. Ich habe “Hose Fahrrad Frau” während meines Studiums geschrieben. Anfangs waren das voneinander völlig unabhängige Szenen, Dialogübungen auf der Suche nach diesen ‚großen Konflikten‘. Dann wurde mir klar, dass die Szenen etwas miteinander zu tun haben, ein gemeinsames Thema, und dass das vielleicht nicht nur eh schon reicht, sondern besser ist, als das, was ich zum Üben dramatischer Strukturen gesucht hab. Es sind die Situationen in denen man sich wiederfindet, nicht mehr die Haupt- oder Identifikationsfiguren. Und deshalb halte ich das Stück eben für sehr ‚Volkstheater‘-geeignet.“
Wipplingers Textarbeit zeichnet sich in “Hose Fahrrad Frau” durch eine besonders einfache Sprache aus. Einfach? Im Publikumsgespräch, das der Aufführung folgt, meint Schauspieler Günther Wiederschwinger:
“Die Sprache kommt vielleicht einfach daher. Aber leicht zu lernen war das nicht.”
Für das Publikum wirkt die Sprache, die Wipplinger für diesen Text gewählt hat, alltagssprachlich, zugänglich und niederschwellig. Mit allen Grobheiten und humoristischem Potenzial, das die österreichische Sprache bietet.
“Die Banalität in der Sprache scheint für das Theater eine Herausforderung zu sein.”, meint auch Wipplinger während des Interviews. “Das bestätigt mich in der Annahme, dass das Theater kein Platz für Banalitäten ist, und das ist, glaube ich, ein Problem.”
Der Inszenierung seines Textes von Holle Münster steht Wipplinger dankbar, aber auch distanziert gegenüber. Das Banale des Alltags, das Wipplinger eben beschrieben hat, findet in der szenischen Umsetzung keinen Einfluss.
“Es war schon früh klar, dass Holle ganz andere Schwerpunkte setzt, in der Erzählung, und dass sie mit dem Realismus in der Sprache Schwierigkeiten hat. Sie hat eine für die Bühne produktive Künstlichkeit als Gegenposition gesucht. Das Bedürfnis verstehe ich. Ich frage mich bloß für wen genau man das macht. Also warum man sich darin so einig ist im deutschen Theater, dass das Banale, das Private, das Realistische der Tod ist, und das Künstliche uns davor rettet.”
Wipplinger kommt nicht vom Theater, auch, wenn er jetzt hier angekommen ist und sich – wie er mit Nachdruck sagt – sehr wohl fühlt. Ursprünglich studierte der Oberösterreicher an der Kunstuniversität Linz Experimentelle Gestaltung. Damals interessierte er sich vorrangig für Experimentalfilm. Wie ist er dann zum Schreiben gekommen?
“Die Studierenden waren dazu angehalten, sich Aufgaben auf unterschiedliche Weise zu nähern. Ich habe einmal eine Skulptur aus zerbrochenen Bierflaschen und Montage-Schaum gemacht und einmal ein Bild aus Nudeln und Tomatensauce gelegt. Was man halt so macht im Experimentellen Gestalten. Ich konnte nicht gut zeichnen oder malen. Das einzige Ausdrucksmittel, das halbwegs zuverlässig funktionierte, war die Sprache. Deshalb habe ich zu schreiben begonnen.“
Nach einer Hospitanz am Linzer Phönix Theater, die ihn mit der Arbeit Simon Stephens vertraut machte, war Wipplinger angefixt.
„Eigentlich wollte ich Filmdrehbücher schreiben, aber dann bin ich mit meinen Texten an der Udk (Universität der Künste Berlin, Anm. CG) für Szenisches Schreiben genommen worden. Dort aufgenommen zu werden war eine große Ehrung für mich.”
Das ist verständlich. An der UdK Berlin angenommen zu werden, ist für junge, deutschsprachige Autor_innen, wie das Reinhardt-Seminar für Schauspieler_innen und Regisseur_innen. Aber bevor wir jetzt zum Kaiserschmarren ins private Plaudern überdriften – Jetzt mal ganz direkt: Was ist deine Meinung zur aktuellen Situation des deutschsprachigen Theaters?
“Ich kann falsch liegen, aber ich habe den Eindruck, dass sich jeder am Theater grad vor Realismus regelrecht anscheißt; weil wir alle Ibsen und Hauptmann so in uns haben. Aber wir verbauen uns damit die Möglichkeit auf eine neue Form des theatralen Realismus.”
Und ist „Hose Fahrrad Frau“ ein Text, der diese neue Form des theatralen Realismus nahe legt?
“Der Titel vermeidet bewusst Bedeutungsschwangerschaft. Die Szenen sind durch das bezeichnet, worum es den handelnden Figuren geht.”
Also heißt Realismus hier, dass man das Physische, das „was ist“ ansieht und nicht Banalitäten verklausuliert, überästhetisiert? Wir sehen auf die Uhr und machen uns aus, das Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt weiterzuführen. Während wir schon zahlen muss ich doch nochmal zurück. Mein Gender-Studies-Wissen drängt sich liebevoll auf.
Stefan, ist es dann im Sinne des neuen Realismus nötig, die Geschlechtsbezeichnung “Frau” in eine Reihe mit Gegenständen zu stellen? Wipplinger lacht. Seit der Titel in Umlauf ist hat er Angst als Sexist wahrgenommen zu werden. Dabei liegt ihm nichts ferner als Geschlechter einer binären Opposition und oder gar irgendeiner Form von Hierarchie zuzuordnen.
“Ja, es ist eine Aufzählung von Besitztümern. Der Text stellt natürlich die Frage nach dem Frauenbild der porträtierten Gesellschaft. Wir bewegen uns ganz eindeutig in einer immer noch männlich zentrierten Gesellschaft – in und außerhalb des Stückes. In unserer Gesellschaft kann eine Frau oder ein Kind als Objekt neben dem Fahrrad und der Hose stehen, aber ein Mann kann das nicht. Ich möchte diese Tradition ausstellen, unsere Welt, die Lebensrealität in einer Großstadt in Mitteleuropa.”
Also keine ideale Kunstwelt? Und auch keine postdramatische Auflösung? Theater, das konkret mit dem Alltag großstädtischer Mitteleuropäer_innen zu tun hat?
“Wer den Titel liest beginnt von selbst zu assoziieren, das ist verblüffend. Mit den drei einfachen Worten baut sich jede_r eine eigene Geschichte. Es gibt ein Bedürfnis nach runden Geschichten. Man will, dass die drei Worte gemeinsam eine Geschichte ergeben.”
Wenig später sitze ich im ausverkauften Publikumsbereich des Volx/Margareten. Auf der Bühne rutschen in Schwarz-Weiß-Silber Darsteller_innen aus dem Ensemble des Volkstheaters und Studierende des Reinhardt Seminars ein Förderband herunter. Menschen als Gegenstände, Gegenstände als Menschen ist offensichtlich die Regieidee. Die Sprache ist erfrischend klar, verständlich und am mir bekannten Alltag orientiert. Man sollte diesen Stil nicht so konterkarieren durch postdramatische Kunststaffetten, denk ich mir, während ich etwas geplättet von der zeitweisen Langatmigkeit des Bühnengeschehens über das Theater an sich nachdenke anstatt dem zu folgen, was sich vor mir auf der Bühne abspielt. Irgendwie hätte ich in der Inszenierung von Wipplingers Text gerne alles schneller.
Persönliches Fazit: Ich mag Wipplingers feines Talent für Alltagskomik und freue mich, dass er den Mut besitzt, sich einer sehr zugänglichen Sprache zu bedienen. Carolin Knab besitzt ein wahnsinnig tolles komisches Talent. Ganz allgemein schien die Regie Holle Münsters etwas ratlos diesem Text gegenüber zu stehen, das würde ich Holle Münster gern noch fragen. Ich hoffe, dass man bald eine Regieform findet, die diesen Text passender umsetzen kann. – Oder wie haben Sie das gesehen? Haben Sie das gesehen?
„Hose Fahrrad Frau“ von Stefan Wipplinger
Regie: Holle Münster (Prinzip Gonzo)
Bühne und Kostüme: Thea Hoffmann-Axthelm
Musik: Bernhard Eder
Dramaturgie: Mona Schwitzer