URAUFFÜHRUNG MIROSLAVA SVOLIKOVA SCHAUSPIELHAUS WIEN
Mit Miroslava Svolikova hat die deutschsprachige Theaterlandschaft eine Expertin für zeitgenössisches politisches Theater erhalten, auf deren “Gesammelte Theaterstücke” (Suhrkamp Verlag, 2036) wir uns jetzt schon freuen. Holen Sie sich hier sofort Karten!
weitere Termine: 18.01. / 20.01. / 21.01. / 22.01.
Als Feministin in Zeiten der Burschenschaft Hysteria freue ich mich schon vor Stückbeginn über die grinsende Hyäne, die als Badetuch Eingang in das Bühnenbild gefunden hat. Wir sehen ein neutral-weißes Assessment-Center, das mich vage an Paul Austers “Travels in the Scriptorium” erinnert. Drei junge Menschen sind hier angekommen. Sie haben eine Ausschreibung gewonnen, deren Details nie geklärt werden. Nun möchte man hier zur Tat schreiten. Nur, zu welcher?
“Ich bin bereit. Ich bin bereit”, wiederholt ein sehr lustiger Steffen Link.
Stück und Inszenierung ziehen von Beginn bis Schluss durch. Der Text ist unglaublich lustig und gleichzeitig schmerzhaft ehrlich. Dolores Winkler als Stern stellt ihre Traurigkeit gekonnt an die schmale Grenze zwischen Humor und Mitleid. Man lacht mit Tränen in den Augen.
Licht- und Sounddesign zeigen immer wieder eine unheimliche Macht von Außen an. Es bebt, es zittert, während im Weißen Zimmer eine Farce stattfindet: Die drei ‘Gewinner’ folgen ohne ein Wort der Kritik dem mal autoritären, mal hilfsbedürftigen Museumswärter (Sebastian Schindegger: hervorragend im Kampf mit sich selbst), selbst verstaubtes Exponat, durch ein Museum der längst vorübergegangenen Menschheitsgeschichte. Steffen Links “Figur 1” will “alles richtig machen”. Simon Bauers “Figur 3” versucht trotz Verwirrung den coolen Kerl heraushängen zu lassen. “Figur 2” (Katharina Famleitner) muss sich – ebenfalls ohne die Spielregeln zu kennen – gegen zwei Männer durchsetzen.
Spürbar in jeder Faser ihrer Körper: die blinde Angst, etwas falsch zu machen.
Jede Gesprächsdynamik zwischen den Kontestant_innen wird sofort zum Wettbewerb. Wo man am besten auf der Bühne stehen soll, wer als erster eine Handlung setzt, wessen Sieb das größte ist. Wie tief die Wettbewerbskultur in Psychen und Körper junger Menschen bereits gesickert ist, zeigen Miroslava Svolikovas Text und Franz-Xaver Mayrs Inszenierung gleichermaßen: Mit hängenden Schultern und eingeknickten Knien stellen sich hier keine Identitäten neuer Zeit vor, sondern völlig austauschbare Spielfiguren im Casting-Show-und Assessment-Center-Wettbewerb. Sensibel-autoritär leitet Winkler als Putzkrafts-Regisseurin die drei “Gewinner” in eine Schaumparty, die an eine Challenge im Dschungelcamp erinnert.
Eine perfide Versuchsanordnung, für die es in Svolikovas Welt keine Alternative und aus der es kein Entkommen gibt. Die Welt besteht aus einem weißen Raum, einem Wettbewerb und keinem Ende.
“Ich bin der blutende Uterus, der alles geboren hat.”, tönt die Stimme des Volkes von außen herein.
Die tiefe Traurigkeit, die aus Svolikovas Text gemeinsam mit dem dichten Humor herausbricht, liegt in der Plausibilität der Farce. Niemand widerspricht der Absurdität der Handlung. Das Prekariat schwebt als stumm-dröhnende Leerstelle zwischen den Figuren, über der Szene und unter dem Stücktext. Niemand kann seiner Rolle entfliehen. Nur der Stern (kristallkar: Dolores Winkler) kann sich auf eine utopische Wirklichkeit beziehen. Der Stern der “onion” weint, lacht und schreit uns – das Publikum – an, doch nehmen ihn seine Mitspieler_innen nicht ernst. Er bleibt allein.
Fazit: Ironie am Theater muss genau so sein. Die bemerkenswerte Ensemble-Leistung setzt Franz-Xaver Mayrs bildschöne Inszenierung spielerisch um. Svolikova ist ein hochpolitisches Stück gelungen, das Humor als theatrales Mittel der Kritik an sozialen Umständen auf erfrischend neue Weise einzusetzen weiß und gleichermaßen dicht, poetisch und luftig-leicht daherkommt. Dolores Winkler als Stern (! der “I have a dream”-Monolog !) fügt der Handlung eine kommentierende Ebene zu, die vor witzigen Gags und traurigen Wahrheiten nur so sprüht. An Svolikovas Text ist alles wahr: die Waffenkammern der Welt, das Prekariat junger Weltbewohner_innen, die einstürzenden Neubauten und die scheinbare Unmöglichkeit zu transparenter Kommunikation und politischer Aktion durchzudringen. Hoffnung gibt der Stern, und wir sind Svolikova dankbar für dieses Bild. Der Stern sagt: “Wir müssen zusammenhalten.”
Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt. (UA)
von Miroslava Svolikova
mit Simon Bauer, Katharina Farnleitner, Steffen Link, Sebastian Schindegger, Dolores Winkler
Regie: Franz-Xaver Mayr
Bühne & Kostüme: Michela Flück
Dramaturgie: Anna Laner
Fotos: (c): Matthias Heschl.
2 Gedanken zu ““Diese Mauer fasst sich selbst zusammen…” – Miroslava Svolikova brilliert mit hochpolitischem Humor”