Damals, in den 70er Jahren, als Franz Xaver Kroetz’ Stück „Oberösterreich“ uraufgeführt wurde, zahlte man in Deutschland noch mit D-Mark, Abtreibungen waren illegal und Kegeln war eine angesehene Freizeitbeschäftigung. Statt die Themen dieses Stücks in aktuelle Debatten zu überführen, verharrt Schmitz’ Inszenierung die meiste Zeit leider auf der Darstellung einer entfernten Vergangenheit.

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weitere Termine: 30.01. / 03.02. / 11.02. / 20.02. / 28.02.

Der Raum des Vestibüls des Burgtheaters ist klein, alle sitzen dicht nebeneinander Schulter an Schulter, und auch Alina Fritsch und Christoph Radakovits vorne auf der Bühne sind nur wenige Meter entfernt. Dort mimen sie zwischen rotem Vorhang und weißen Plastikstühlen vor einer weiß verkleideten Wand das junge Paar Anni und Heinz. Er Lieferant, sie Verkäuferin, angestellt in derselben Firma, haben sie sich in einer idyllischen Langeweile zurechtgefunden. Sie grinsen aufgesetzt, sprechen in Worthülsen („Lieber gut gegessen, als schlecht geträumt“) und tragen ihr feines Hochzeitsgewand, um den glücklichen Moment der Eheschließung maximal zu verlängern (Bühne und Kostüme: Korbinian Schmidt). Sie sprechen viel über Geld, denn davon ist nicht so viel da („Porree schmeckt wie Spargel, ist nur viel billiger“) und träumen vom 400 km entfernten Wien.

Fritschs und Radakovits’ Spiel ist lustig und tragisch zugleich, ihr Spiel verfällt nie in Albernheit und lässt Mitgefühl zu. Sie wechseln schnell zwischen Stimmungen und Situationen, beherrschen den schmalen Grat zwischen Komik und Ernst so gut, dass mir schon mal das Lachen im Halse stecken bleibt.

Doch die Fassade der beiden Figuren beginnt zu bröckeln, als Anni ankündigt, schwanger zu sein. Die feine Kleidung fällt (Heinz trägt nur noch Unterhemd und Unterhose) und auch die in Rot und Weiß gehaltene Bühnenausstattung erhält Kratzer: Der Vorhang wird heruntergerissen und hinter der weißen Wandverkleidung kommt eine traurige Bretterwand zum Vorschein. Das angekündigte Kind ist für Heinz keine frohe Botschaft, sondern ein viel zu großer Kostenpunkt auf der monatlichen Abrechnung. Menschen und Güter, alles das gleiche, alles kostet Geld. Auch Anni hat das Hochzeitskleid inzwischen in ein rotes Kleid mit riesiger Geschenkschleife vor der Brust eingetauscht, sie ist nun genauso verpackt wie die Obstschale, die Heinz ihr zuvor zum Hochzeitstag geschenkt hat.

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Wie in einem Wahn rechnet Heinz die monatlichen Kosten mit Kind vor und zieht schließlich alles ab, was entbehrlich sein könnte.

„3,54 DM für jeden am Tag, wo man alles abgezogen hat, was Freude macht im Leben. Viel ist das nicht.“

In Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrisen und unsicheren Arbeitsmärkten predigen Politiker_innen, den Gürtel enger zu schnallen, und Heinz und Anni scheinen dieses Mantra perfekt inkorporiert zu haben. So stellt sich im zweiten Teil endlich ein aktueller Bezug her. Besonders Radakovits kann nun alles geben, wenn seine Verzweiflung bei Stroboskoplicht (Licht: Mathias Mohor) und zu David Guetta einen Höhepunkt erreicht.

Doch die Inszenierung von Andreas Schmitz kann die gesellschaftlichen Themen dieses Stücks nicht so richtig ins Jahr 2017 übertragen. Die Darstellung von prekären Lebenssituationen hat das Theater inzwischen an das Fernsehen mit seinen unzähligen Reality-Formaten abgegeben und die Inszenierung hat dem nichts hinzuzufügen. Stattdessen amüsiere ich mich über diese beiden Menschen aus einer vergangenen Zeit mit ihren verstaubten Rollenbildern und Lebensentwürfen, doch obwohl unsere Gesellschaft vielleicht ein wenig liberaler geworden ist, hat dies nichts an den prekären Situationen vieler Menschen geändert. David Guetta scheint dabei die einzige Referenz der Inszenierung ins Heute zu sein, ansonsten bezieht man sich eher auf Jane Birkin oder Thomas Gottschalk.

Fazit: Durch die intime Atmosphäre des Saales und das differenzierte Spiel von Fritsch und Radakovits bewegt sich meine Stimmung zwischen Unterhaltung und Mitgefühl. Schmitz’ Regieideen tragen zu diesem netten Theaterabend bei, doch leider verharrt die Inszenierung zu sehr in der folkloristischen Zurschaustellung einer Vergangenheit, über die wir uns jetzt lustig machen. Dass die Themen dieses Stücks heute immer noch aktuell sind, könnte die Inszenierung noch provokanter zeigen.

Oberösterreich
von Franz Xaver Kroetz
mit Alina Fritsch und Christoph Radakovits
Regie: Andreas Schmitz
Bühne und Kostüme: Korbinian Schmidt
Licht: Mathias Mohor
Dramaturgie: Florian Hirsch

Fotos: (c) Reinhard Werner

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