Zum ersten Mal in diesem Jahr lud die Direktion des Wiener Burgtheaters am 31. Jänner 2017 zum Offenen Publikumsgespräch ins Vestibül des Burgtheaters ein. Karin Bergmann und Dr. Thomas Königstorfer sprachen über die erste Spielzeithälfte, Neuerungen im digitalen Feld und die gesellschaftspolitische Positionierung der Burg.
Ich kämpfe mich durch Schneegestöber und klirrende Kälte, erreiche zwanzig Minuten vor Beginn des Gespräches das Vestibül – und bin erst mal alleine da. Recht viel mehr Andrang scheint man (für mich überraschenderweise) nicht zu erwarten. Das letzte Gespräch hätte vor nur 6 Personen stattgefunden, wird mir erzählt. Karin Bergmann hätte daraufhin die versammelte Publikums-Mann/und/Damschaft hinauf in ihr Büro gebeten. Ich bin verwirrt. Das Burgtheater, DAS Burgtheater meine ich, lädt zum Offenen Gespräch und der Turn-Out ist gleich groß wie ein Offenes Arbeitstreffen der eben erst neu gegründeten mini-off Produktionsstätte Volksbühne Wien?
Die Teilnehmer_innenanzahl von 20 wird auch bis Ende des einstündigen Gesprächs nicht überschritten. Kritische Worte werden wenige geäußert. Man befindet sich in ausgesprochen nettem Rahmen unter Gleichgesinnten. Obere Mittelschicht darf ich schätzen, Durchschnittsalter vielleicht um die 50, alle weiß und muttersprachig deutsch/österreichisch.
Die ersten Monate 2016/17. Bergmann erzählt über die erste Hälfte der Spielzeit 2016/17. Man hatte „sehr aktive“ erste Monate, vielen Premieren, erst letzte Woche sogar drei Premieren innerhalb von 7 Tagen (oberösterreich im Vestibül, den neuen Fritsch in der Burg und das Abendmahl im Akademietheater). Zufrieden berichtet sie vom „breiten Spektrum an Themen und Autoren“. Hexenjagd und Geächtet werden als Vertreter akteller Themen genannt, doch man habe sich auch „an Goethe herangewagt“. Warum sich ein Haus wie die Burg an einen Text von Goethe „heranwagt“ und ihn nicht einfach macht, frage ich mich. Coriolan, „eine unserer spannendsten Unternehmungen“, wurde von der jungen Regisseurin Carolin Pienkos inszeniert. Pienkos, Schmalz und Kraft sind die Jungen der Saison. Nach „Pünktchen und Anton“ setzt man mit einer Dramatisierung Christine Nöstlingers „Lumpenloretta“ auch 16/17 die „Kinderarbeit“ am Kasino fort. Stolz ist Bergmann zurecht auf den internationalen Erfolg der Burgproduktionen, die sich auf Gastspiel im Europäischen Ausland befinden. Wohin man komme, freut sich das Publikum über die Marke „Burgtheater“. Vorstellungen im Ausland seien fast immer ausverkauft.
Öffnung. Mit dem Projekt der „Offenen Burg“, die das „Junge Burg“-Progamm ablöst, bemüht man sich um die Einbindung und Aktivierung theaterinteressierter Laien. Neu ist dabei, dass das „riesige Programm zum Mitmachen“ nicht mehr Jugendlichen vorbehalten ist, sondern Menschen von „0-99“ einlädt. Bergmann habe ich sehr darauf gefreut, drückt aber auch eine gewisse Skepsis aus. Das Projekt sei „nicht richtig einschätzbar“ gewesen. Umso mehr schätzt sie die hohe Annahme der Impro-Workshops, die das Burgtheater dienstags um 17:00 anbietet.
„Die Impro-Workshops haben sich schon zum Hit entwickelt.“ Karin Bergmann
„Ich denke, es tut gut, wenn man die Zeit findet, etwas ganz anderes zu machen.“, reflektiert Bergmann über die Motivation von Laien, an den Impro-Workshops teilzunehmen.
Rippenbrüche, Operationen, Umbesetzungen. Einen echten „Blick hinter die Kulissen“ bietet Bergmann als sie von den „unerfreulichen“ Dingen des Alltagsgeschäftes erzählt. Zwar sei man der jährliche Grippewelle bisher entkommen, doch sei man aufgrund von Rippenbrüchen und Operationen zu Umbesetzungen gezwungen. Pohl statt Kirchner, Hauß statt Krüger, Lyssewski statt Pölnitz. Auf die häufig gestellte Frage nach Zweitbesetzungen antwortet Bergmann im Voraus: „Bei uns ist das nicht wie am Musiktheater, wo man immer Doppelbesetzungen hat. Am seriösen Sprechtheater finden Besetzungen aus künstlerischen Gründen statt. Da kann man nicht einfach zweit- oder umbesetzen.“ Ein Abend mit Nikolaus Ofczarek ist ein Abend mit Nikolaus Ofczarek. Ein Abend mit Joachim Meyerhoff einer mit Joachim Meyerhoff.
Neue digitale Ausrichtung. Thomas Königstorfer übernimmt und ändert merklich vom Künstlerischen ins Kaufmännische. Elegant und eloquent kündigt er die neue Homepage und eine neue (eigene) Ticket-App an. Seit Dezember 2012 verwenden die Bundestheater den Ticketing-Service ticketgretchen. In Kürze werde die Burg auf eine eigene App umstellen, die Kaufoptionen anbietet und auch die Einlösung von Wahlaboschecks zulässt. Auf der neuen Homepage, die Ende der Saison pünktlich zur Veröffentlichung des neuen Spielplanes erscheint, werde man mehr auf redaktionelles Angebot setzen und etwa eine Merkfunktion für Vorstellungen anbieten.
„Auch Facebook funktioniert sehr gut.“ Dr. Thomas Königstorfer
Stolz ist die Geschäftsführung des Burgtheaters auf 21.000 Facebook-Likes. Doch Bergmann sagt gleich dazu, dass Facebook nicht ihre Tasse Tee ist. Auch Königstorfer scheint die sozialen Medien milde lächelnd eher als notwendiges Marketing-Beiwerk zu sehen. Dies alles sei „Neuland“.
Neuland also. Schade, denn Facebook, Twitter, Instagram, Blogs usw könnten auch die vorgeblich angestrebte Öffnung unterstützen. Am Burgtheater ist seit kurzem eine Teilzeitstelle für soziale Medien besetzt. Seither postet die Burg fast täglich auf Facebook Veranstaltungsankündigungen, Links zu Interviews mit Burgpersonal und Gewinnspiele. In Zukunft wird es auch die Möglichkeit geben über Facebook direkt Karten zu kaufen, mit speziellen Vergünstigungen für Facebook-Fans versteht sich.
Abonnements. Die Sanierung des Burgtheaters hat auch die Abonnement-Abteilung betroffen. Man habe umstrukturiert. Aus Gesprächen mit langjährigen Abonnent_innen berichtet Königstorfer: „Der Wunsch liegt nicht unbedingt in billigeren Abos, sondern bei mehr Planungssicherheit. Man möchte wissen: Wann sehen ich was?“ Darauf reagiert das Angebot der Zyklen. Auch das Wahl-Abo wird stärker angenommen. Allgemein gibt es eine Zunahme der Burgtheaterabos und innerhalb der bereits bestehenden Abonnements eine Bewegung von den Festabos hin zu Zyklen- und Wahl-Abos.
Tag der Offenen Tür. Bergmann und Königstorfer zeigen sich begeistert vom „Tag der Offenen Tür“, der am 1. und 2. Oktober 2016 stattgefunden hat. Mehr als 12.000 Besucher_innen konnten sich auch an sonst nicht zugänglichen Orten des großes Hauses am Ring umsehen. Besonders gefragt war die Technikshow, in der die Haustechik ihr volles Programm auffuhr: Explosionen, Regen, Schnee, Licht,… Bergmann lacht in Erinnerung daran. Die nächste Technikshow findet am 26. Februar um 10:30 statt. Und kostet 18/12 Euro.
„Ich möchte Theater als gesellschaftspolitischen Ort sehen.“ Karin Bergmann.
Gesellschaftspolitik. Die Burgchefin meint damit die Gespräche, die der deutsche Schriftsteller, Historiker und Übersetzer Philipp Blom regelmäßig als Carte Blanche, so der Titel der Reihe, im Kasino abhält. „Das sind Themen, die uns alle beschäftigen.“, meint Bergmann. Wenn so globale Begriffe wie „alle“ fallen, werde ich hellhörig. Wer ist denn gemeint mit „alle“? Und haben diese „alle“ die Möglichkeit an der Diskussion teilzuhaben?
„Vorbehalten sind diese Gespräche nur einem analogen Publikum, und auch diesem nur sehr beschränkt: Die Karten sind naturgemäß rasch ausverkauft. Wer, fragt man sich, schwimmt da eigentlich in welcher Blase?“ meint Anne Aschenbrenn in einem empfehlenswerten Artikel auf Kulturfritzen über Digitalität und Theater. Sie spricht über Navid Kermanis Theaterreise „Welt aus den Fugen“, aber ihr Schluss trifft auch auf Philipp Bloms Gespräche zu.
Das Publikum nehme das gesellschaftspolitische Programm stark an, so Karin Bergmann weiter. Auch der Abend von André Heller sei gut angekommen. Gesellschaftspolitik im Sinn von Hochkultur muss man hier wohl dazusagen. Denn echte Agitation findet am Burgtheater nicht statt. An der grundsätzlichen Orientierung an zahlungskräftigem Publikum, das den sozial-kulturellen Habitus der Marke Burgtheater bereits beherrscht, ändert auch die Einbeziehung von Geflüchteten oder Bewohner_innen Transdanubiens (Außenbezirke Wiens) nichts. Einbeziehung muss eben nicht immer Integration bedeuten.
Publikumsfragen. Nun wurde der Raum geöffnet und sogleich von einem leidenschaftlichen Burg-Fan angenommen:
„Ich glaube, ich spreche für uns alle hier: Wir lieben unser Burgtheater und Sie machen eine wunderbare Arbeit!“
Dies vorweg stellte die Dame ihre Frage: Warum kommt Jedermann reloaded nicht an die Burg? – Jedermann von Hofmannsthal kommt 2017/18, man möchte auch die reloaded Version, antwortet Bergmann. Auch der nächste Publikumsbeitrag lobt die Burg: „Die schauspielerische Leistung ist einfach großartig. Aber manchmal hätte ich gern einen Nachhilfelehrer neben mir.“ Oft frage sie sich, so die Dame, „Was soll das aussagen?“, räumt aber gleich selbst ein, die Theaterzettel helfen ihr oft beim Verständnis. Bergmann verweist auf Einführungen und Publikumsgespräche. – „Wann kommt Aischylos?“, geht der Fragereigen weiter. „Im März“ lautet die Antwort. Im Folgenden werden individuelle Spielplanwünsche, persönliche Rezensionen von Vorstellungen und die finanzielle Situation des Hauses besprochen bevor der Abend mit der Betonung des einzigartigen ideellen Wertes des Ensembles und des schönen Zusammenhalts in der Zeit der Krise beendet wird.
Fazit.
Offene Publikumsgespräche muss das Burgtheater als Bundestheater zweimal jährlich führen. „Grundsätzlich mache ich das sehr gerne.“, sagt Bergmann. Der Verweis auf die Verpflichtung in Verbindung mit dem geringen Turn-Up legt allerdings die Vermutung nahe, dass man am Burgtheater nicht wirklich an der Meinung des Publikums interessiert ist. Das Offene Publikumsgespräch wird im Leporello des Burgtheaters angekündigt. Nicht auf Facebook, nicht auf Twitter. Die Ergebnisse des Gesprächs werden bis auf diesen Aritkel hier nicht dokumentiert. Bis zum Ende des Gesprächs sind nicht mehr als 20 Personen im Raum. In der Wiener Staatsoper finden Offene Publikumsgespräche vor durchschnittlich 100 Leuten statt. „Ich weiß nicht, was Dominique Meyer anders macht.“ sagt die Burgchefin. Eine Frage, die vieles beantwortet.