Einen geilen Abgesang auf den patriarchal-zynischen Konsumkapitalismus zeigt Ali Abdullah im Werk X. Die glänzende, ausschließlich weibliche Besetzung gibt dem postdemokratischen Popliteraturgewitter Identität, Geschichte und Charakter.
weitere Vorstellungen: 26.2., 2., 2. und 17.3. (je 19.30)
* Jugendschutz! Erst ab 18 Jahren freigegeben.
Ich weiß gar nicht, welche Szene ich hier als Höhepunkt des Abends verkaufen soll. Die, in der die beiden Vollblut-Männer Macht und Rebel überm gemeinsamen Kinderfick bonden oder die, in der Rebel in SS-Uniform mit Hakenkreuzarmbinde und von Blut oder Scheiße verschmiertem Penis kurz aus dem zu Marketingzwecken produzierten Pädophilen-Porno-Dreh aussteigt und nach vorn an die Rampe kommt, um dem Publikum etwas über das Leben und die Welt und seine Sicht der Dinge im Allgemeinen zu erzählen.
Dass sich das alles ethisch ausgeht, liegt zu einem wesentlichen Teil an der Besetzung und der exzellenten Darstellung der Schauspielerinnen. Beides hält die Fiktion, in der wir uns befinden, aufrecht und deutet den harten Konnex zur Wirklichkeit nur theatral vermittelt an. Und das ist gut so. Anders wäre dieser Abend wohl nicht auszuhalten.
Ja, Mathias Faldbakken (Oslo, 1973) kann als „Skandalautor“ bezeichnet werden. Die Literatur des bildenden Künstlers kämpft mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die „Toleranzhölle des westlichen Kulturbetriebes“ an. Da fliegen die gesellschaftspolitischen Diskursfetzen hoch und die politisch unkorrekten Witze niedrig. Es ist die Leistung des Regisseurs Ali Abdullah, sich nicht von der Konstruktion eines Theaterskandals verführen zu lassen. Eben dorthin könnte die Inszenierung eines „Skandalautors“ nämlich zielen.
Doch Abdullah lässt – nach einführender sich selbst erklärender Figurenrede – den Charaktären in Faldbakkens dystopischer Welt Raum, sich zu entfalten. Mit Michaela Bilgeri und Constanze Passin hat Abdullah besetzungstechnisch Gold ermöglicht. Als Marketing-Genie Macht und ex-linker, ex-underground Aktivist Rebel stellen die beiden in hervorragendem cross-gender acting zynisch-machistische Männlichkeiten vor, die sich trotz ihrer unterschiedlichen sozialen Verortung habituell derart gleichen, dass man sie beim gemeinsamen Sex mit zwei minderjährigen „Problemkind“-Schwestern als Ein-Herz-und-eine-Seele bezeichnen muss. Den Magen umdrehen würde es mir, wenn Abdullah hier nicht auf theatrale Verfremdung setzen würde. Die beiden Minderjährigen werden deutlich ‚gespielt‘ von erwachsenen Schauspielerinnen. Die dominierenden Sexualhandlungen sind deutlich ‚eingespielt‘ konsensual. Die Penetration findet deutlich ‚angedeutet‘ statt. Deshalb kann man den Pädophilie-Porno-Szenen zusehen und sich gleichzeitig die Frage stellen: Wie weit sind wir eigentlich weg von einer Welt, in der man den Wertekanon ‚Menschlichkeit‘ mitsamt seiner Verantwortung aufgegeben hat, in der alles egal ist und es nur mehr nach dem Lustprinzip gelebt wird.
Das Schwirren der Diskurse kann einem trotz der sehr angenehmen musikalischen Begleitung schon zuviel werden. Romanadaption von Abdullah heißt viel Text und noch mehr Kontext. Besonders zu Beginn fällt es mir als uneingelesenem Publikum nicht leicht, mich emotional und intellektuell im Meinungsgeschwader zurecht zu finden. Der als linker Aktivist getarnte Unternehmer Fetti (wunderbar überzeugend: Katrin Grumeth) erklärt mittels Selbstportraitsvideoreportage, wie er mit seinem Schwarzmarkthandel „Push“ „die Konsumlobby fistfuckt“ und ich frage mich erst mal: Wo bin ich?
Faszinierend dreht sich die ideologische Spirale von der Bühne in meine Wahrnehmung. Während ich mich zu Beginn noch an Sexismus, Rassismus, Fat- und Slutshaming und Antisemitismus in der Figurenrede stoße und dem narzistischen Nihilismus der Protagonisten widersprechen will, ziehen mich Bilgeris und Passins anziehende Selbstverständlichkeit immer weiter in ihre Gefühlswelt hinein.
„Macht und Rebel“ stellt eine Gesellschaft vor, die vom „Ladenhüter“ political correctness genervt ist, in der die ausgestellte Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ zu den zeitgenössischen Aktionsformen des Widerstandes und der antikapitalistische Widerstand zu den Mitteln der globalen Marketingszene gehört. So weit weg wirkt das alles leider gar nicht. Vielleicht hätte man die Hauptfiguren gruseliger zeichnen können. Bei aller Provokation sehe ich den Darstellerinnen mit großem Interesse und Lust zu.
„Irgendwann wache ich mit schlechtem Gewissen auf und das fühlt sich verdammt gut an.“
Rebel und Macht argumentieren sich von Theorie zu Theorie und bauen so eine Ideologie, in der sie sich überlegen, mächtig, rebellisch und wohl fühlen. Kein Blatt der Selbstkritik passt da mehr zwischen die logischen und intellektuellen Schlüsse.
„Indem wir die Teenagerkörper ficken, ficken wir den Kapitalismus.“
„Macht und Rebel“ zeigt ein hervorragend eingespieltes Ensemble in coolen, spannenden und herausfordernden Rollen, die sich im popliterarischen Diskursgewitter als handelnde Charaktäre einer dystopischen Story von Marktlogik, Marketingexpertise und Überlegenheitsphantasien behaupten. Wenn am Ende Katrin Grumeth als Demonstrationsanführer Fetti eine bearbeitete Hitler-Rede gegen die „Kompromissgesellschaft“ im Endkampf Schauspiel gegen Körper auf das Publikum losschreit, reißen mir vom Zuhören fast die Stimmbänder. Gleichzeitig erkenne ich, was mir dieser Abend sagt:
Ist die Natur gerecht? Nein. Gerechtigkeit ist etwas, für das sich Menschen entscheiden können. Gerechtigkeit, Kompromiss und Mitgefühl sind Werte, die wir künstlich aufrechterhalten müssen. Natürlich sind sie nämlich nicht.
Fazit: Macht und Rebel sind dagegen, aber sie spielen das Spiel mit. Draußen im Kabelwerk werden Nazismus, Pädophilie und politische Unkorrektheit in den Dienst der Suche nach dem Neuen, dem Rebellischen, dem Mutigen gestellt. Der Abend ist kurzweilig, spannend und erkennt keine Tabus an. Wem die Kultur der freien Meinungsäußerung wichtig ist, der sollte sich „Macht und Rebel“ ansehen. Und sich danach vielleicht mit sich selbst beschäftigen.
Das härteste Stück:
„If you believe in the Freedom of Speech, you also have to believe in The Freedom of Speech for the views you don’t like.“ Noam Chomsky
Ein Gedanke zu “„Macht und Rebel“ im Werk X ist mehr als pädophiler Nazischick”