Nachdem mich im vergangenen Jahr das „Marie-Fragment“ von Aristoteles Chaitidis nachhaltig beeindruckt hat, tat es mir sehr leid, an den ersten Aufführungsterminen seines Neulings „Anti_gone“ selber nicht in Wien zu sein. Aber meine rasende Reporterin und tolle Praktikantin Alem-Adina Weisbecker war dort – und hat es geliebt. Das Bronski, die Vorstellung und die Zugänglichkeit des künstlerischen Teams. Eine Empfehlung!
weitere Termine: 14., 15., 16. 03 – (je 19:30)
Dunkelrote alte Kinosessel am Eingang, Flamingo Tapeten, Retromöbel und bunte Lichter in der Bar. Willkommen im Bronski und Grünberg Theater! Hier herrscht eine gemütliche „Wohnzimmerwohlfühlatmosphäre“ und das schicke, sehr spezielle Design lädt zum Träumen und Trinken ein. Im Theaterraum selbst hängt anstelle des prunkvollen Kronleuchters eine hippe Glühbirne mit goldenem Leuchten. Es gibt keine Vorhänge, rohes Theater – passend für die Show.
Ich sehe ein Wartezimmer mit Kunstblumen dekoriert und zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Antigone (Aleksandra Corovic), die äußerlich schweigt und innerlich schreit. Daneben die pausenlos quasselnde Iphigenie (Julia Edtmeier). Das Geschehen spielt nicht im alten Griechenland, sondern heute, hier und jetzt: Iphigenie wartet auf die Mutter, die gerade ihren Termin bei demselben Psychologen wahrnimmt, auf den auch Antigone wartet. Zwischen gegenseitigem Interesse und gelangweilter Abneigung entspinnt sich ein Dialog.
Was macht man während man wartet? Desinteressiert Magazine durchblättern, auf den Handybildschirm starren oder sich mit einem fremden Menschen unterhalten? Heute scheint letzteres am unwahrscheinlichsten, beschäftigen sich doch die meisten Menschen am liebsten mit sich selbst und ihrem Handy. Und auch hier wird lieber schweigend geschmollt anstatt anstrengend kommuniziert. So sitzt Antigone mit großer Sonnenbrille im Wartezimmer und wirkt unnahbar, stark und cool, fast wie eine Göttin. Aber ist sie das auch? Wenn ja, warum sitzt sie dann im Wartezimmer eines Psychologen? Iphigenie hingegen ist an allem interessiert. „Iphi“ ist aufgestylt, bunt und schrill, wirkt neugierig, gesprächig und etwas naiv.
Spannend ist vor allem der Druck, der sich aufbaut. Iphigenie zwingt Antigone immer wieder in Gespräche bis diese sich plötzlich mit Psychospielen zur Wehr setzt. Das Wortgefecht wird körperlich (Choreographie: Rino Indiono) und verlässt die Grenzen der essenialistischen Identität. Von drei Darsteller_innen werden wesentlich mehr Rollen übernommen. Haimon, Kreon und das Volk teilen sich die Schauspieler_innen auf.
Die Dramaturgie spinnt sich leichtfüßig zum intensiven Höhepunkt am Ende es Stückes. Hier kommt – um nocheinmal kurz Ruhe eingekehren zu lassen – der Cellospieler auf die Bühne und Iphigenie beginnt zu singen. Gewaltig ist der Kampf zwischen Antigone und dem Wächter (Jan Walter), der um verbotenes Rauchen auf der Bühne entbrennt.Antigone provoziert und macht was sie will. Die Zigarette brennt, die Asche fällt. Blut und Verwüstung bleiben zurück. Am Ende steht Antigone allein im Wartezimmer.
„Wir alle führen einen Kampf gegen uns selbst“, heißt es im Stück. Alles was bleibt ist die Einsamkeit auf einem von Antigone selbst inszenierten Schlachtfeld.
Antigone ist rebellisch. Sie ist „anti“. Sie kämpft gegen alles – auch sich selbst. Aleksandra Corovic ist laut und leise, dabei verstörend faszinierend. Einerseits will ich so sein wie Antigone, denke ich mir, andererseits hoffe ich aber auch, niemals so zu werden.
Antigone fühlt sich unverstanden, doch versteht sie sich selbst? Was will sie – Freiheit, Konfrontation oder einfach nur ihre Ruhe? Eine zerrissene Figur die interessiert und verwirrt. Richtig nahe kommt man als Zuschauerin Antigone nie. Genau das macht die große Spannung aus. Umso cooler ist es, nach der Vorstellung noch mit den beiden sympathischen Schauspielerinnen plaudern zu können.