„wir begehren, we desire“ lautet der Untertitel der neuen Performance des Linzer Tanz-Kollektivs SILK Fluegge. Zu Stückbeginn stecken echte Langstielrosen an den gemütlichen Zuschauer_innensitzen des Posthof Linz. Zeitgenössischer Tanz ist für mich als Sprechtheater-Expertin das anziehende Andere der darstellenden Kunst – eine Annäherung.
weitere Informationen, Termine und Materialien
Nacktheit, Rosen, Vorschlaghammer. Die zentralen Motive der tänzerischen Auseinandersetzung mit menschlichem Begehren machen visuell ganz schön viel her. Doch so beeindruckend einzelne Bewegungsabläufe in meiner Wahrnehmung die vierte Wand überwinden, so verschlossen bleibt mir die zwingende Gesamt-Dramaturgie des Abends.
Verschiedene Aspekte von Begehren wechseln einander ab. Sexuelle Anziehung, lukullische Genüsse – Ein gut trainierter, junger Mann ohne T-Shirt verteilt warmen Schokoladenpudding im Publikum nachdem er ihn in orgastischen Gesten stehend in der Nähe seines Geschlechts angerührt hat. – Körper klammern sich aneinander, stoßen sich voneinander ab, tragen Rosen, werfen Rosen nieder, beißen in Rosen hinein, ziehen sich aus, ziehen sich an. Ein roter Faden, eine Idee, die die einzelnen Elemente deutlich zusammenhält fehlt mir.
Warum trägt ein alter, Weißer Mann Trenchcoat, Hut und Vorschlaghammer? Was hat Hercule Poirot mit Begehren zu tun? Weil es auch ein Begehren ist, wenn man einen Detektiv-Fall lösen möchte? Bilder des Sich-Nieder-Werfens und Am-Boden-Kriechens wiederholen sich.
Ab und an habe ich den Eindruck, den Humor nicht ganz zu verstehen. Etwa, wenn ein Tänzer plötzlich Yesterday von den Beatles anstimmt und zwei (drei?) Strophen in der Peinlichkeit eines Lagerfeuer-Dudes vorträgt. Zum Glück wird diese Szene konterkariert von einer Typin, die im Anblick des Sängers Rosenblätter kotzt.
Das Ende der Show bildet eine Nacktheits-Szene. Eröffnet von einer Tänzerin, die sich entkleidet und fast unerträglich lange in einer Mischung aus kindlicher Naivität und psychischem Grenzzustand auf der Bühne herumspringt, schreit, lacht und Küsse Richtung Publikum schießt. Ihr zur Seite stellen sich wie auf Kommando circa 15 junge Menschen aus dem Publikum, die sich an der Bühnenrampe entkleiden und als nackter Tanz-Chor stehend ihre Schultern nach vor werfen bevor sie in wildem Durcheinander aneinander klatschen und sich – als Spiegelbild der Einleitung des Abends – an den Bühnenelementen entlang robben.
Begehren, Begierde, Genuss. Das Themenspektrum, das SILK Fluegge für ihre Performance gewählt hat, ist breit, tief und groß. Spannend wird die Frage nach der Lust, dem Wollen, der Gier dort, wo sie an die Grenze von Menschlichkeit klopft. Ist ein Mensch, der extrem begehrt, noch Mensch? Die geringe diskursive Diversität des Abends lies viele meiner Interessensfelder unbeantwortet.
Fazit: „dear“ ist lustig, kinky und schön anzusehen. Die zwingende Dramaturgie des Abends hat sich mir nicht erschlossen, obwohl sich im Themenspektrum Körper – Macht – Begehren zweifelsohne eine hohe Diversität anderer deutlicher Bilder anbieten würden.
dear. wir begehren, we desire
Konzept / Idee / Choreographie: Silke Grabinger
Produktionsleitung / Choreografische Assistenz: Olga Swietlicka
Choreografische Assistenz: Matej Kubuš
Dramaturgische Beratung: Angela Vadori
Kostüme: Bianca Fladerer
Lichtdesign: Peter Thalhamer
Musik: Ivan Shopov
PerformerInnen: Elias Choi Buttinger Melisha Elias, Weng Teng Choi – Buttinger Choi Weng Teng, Emil Felhofer, Julienne Hartig, Michaela Hulvejová, Charles Kaltenbacher, Matej Kubuš
Fotos: (c) Phil Lindner.