Die Dramatikerin Ivna Žic hat sich in einen monatelangen, intensiven Stückentwicklungsprozess mit dem Ensemble des Schauspielhauses Wien begeben. Im Zentrum der Untersuchung stand der Großvater der Autorin, der zwar bei der Rücksendung mehrerer tausender Kroat_innen an der Grenze in Bleiburg 1945 anwesend war, und am Marsch zurück teilnahm, in seinem Leben aber nie darüber gesprochen hatte. „Blei“ ist zeitgenössisches Doku-Theater – spannend, berührend und notwendig für die Aufarbeitung Zentraleuropäischer Geschichte.
Premiere: 20. April 2017 I weitere Termine: Mai 6., 11., 12., 13., 23., 24.
26. April 2017 – Skype-Interview mit Ivna Žic.
Clara Gallistl: Wie viel von dem Text, den man auf der Bühne hört, würdest du als dramatischen Text beschreiben?
Ivna Žic: Meinst du, wie viel von dem Text geschrieben wurde? Es gibt zwei Ebenen, die dokumentarische und die geschriebene. Die dokumentarische ist die, die man auch wirklich live sieht im Film (Anm. eine Dokumentation der Stückentwicklung ist als Videoelement Teil der Inszenierung). Alles, wo man sieht, dass jemand live spricht. Alle anderen Texte, die im Stück vorkommen, sind von mir geschrieben. Alles sehr eng verknüpft mit dieser gemeinsamen Erfahrung. Das Stück ist für mich die Summe aller Texte, die vorkommen.
CG: Wieviel Text gab es zu Beginn der Auseinandersetzung?
IZ: Alle Texte sind für und im Prozess entstanden. Der Prozess hat aber auch 7-10 Monate gedauert. Also genau die Länge, die man braucht, um so ein Stück zu schreiben. Ich bin mit dem Thema, mit Bleiburg auf das Schauspielhaus zugekommen. Das war für mich schon eine längere Auseinandersetzung. Wir hatten den Luxus, dass das Projekt noch über ein Arbeitsatelier gefördert wurde, sodass wir wirklich intensiv miteinander arbeiten konnten. Es war für das Theater ein ungewohnt langer Prozess. Der Prozess hat sich so gestaltet, dass wir viel herumgefahren sind, Menschen getroffen und mit ihnen geredet haben, und, dass ich geschrieben habe. Ich hab im Schreiben versucht, auf Fragen zu reagieren, die in der Recherche akut wurden. Das ist alles sehr miteinander gelaufen.
CG: Ich fand die sprachliche Übersetzung, die live Synchronisierung, sehr berührend. Vor allem, wenn im Video ein Mehrheits-Österreicher zu sehen ist, und Jesse Inman, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, und der also mit Akzent spricht, diesen Mann synchronisiert. Und auch der Moment, an dem Sebastian Schindegger am Ende den Großvater spielt und die Stimme eines anderen Zeitzeugen darübergelegt wird. Als ob man den Moment, nach dem gesucht wird, nämlich, dass der Großvater spricht, einfach zwangs- oder versuchsweise herstellt.
IZ: Ja. Die Idee von Tomas (Schweigen, Anm.) war von Anfang an, dass man schaut: Was hat das mit uns zu tun? Wie kommt man da rein, in das Thema? Im Theater macht man immer etwas zusammen. Sonst könnte ich auch einen Roman schreiben. Das Synchronisieren ist eine schauspielerische Annäherung an das Gesagte. Man eignet es sich nicht an. Man tut nicht so, als hätte man es selber gesagt. Es heißt auch überhaupt nicht immer, dass man diese Meinung vertritt. Sondern, das Synchronisieren ist wie ein Prozess. Es ist wie ein Abarbeiten an dem, was zum Thema gesagt wird, indem man es selber spricht. Es ist immer ein Versuch, sich in ein Verhältnis zu setzen, zu diesen konkreten, dokumentarischen, echten Menschen – ohne zu behaupten, dass man sie wäre. Es ging uns sehr darum, uns in ein Verhältnis zu setzen und dabei immer in Bewegung zu bleiben.
CG: Hattet ihr eine Schwierigkeit mit den Zeitzeugen künstlerisch umzugehen? Und mit dem Nicht-Sprechen-Wollen des Großvaters?
IZ: Wir haben versucht, sehr bewusst mit allen Schwierigkeiten umzugehen. Uns war bewusst, dass man die Objektivität verliert, wenn man viel mit Leuten spricht. Es ist aber auch eine Theaterarbeit und keine wissenschaftliche Forschung. Dort, wo das Dokumentarische an einen Grenze kommt, kann das Literarische rein und umgekehrt. Es war immer ein Austarieren der Grenzen. Für mich war wichtig, im Literarischen sehr persönlich zu bleiben, und auf der Zeitzeugenebene dokumentarisch zu bleiben, damit es diese Vielstimmen gibt. Wir wollten ein Raum für die Widersprüche sein, die in der Nachforschung auftraten.
CG: Fühlst du dich jetzt irgendwie erleichtert, dass diese persönliche Geschichte abgearbeitet ist? Empfindest du es als „abgearbeitet“?
IZ: Ich dachte, ich wäre extrem erleichtert, wenn das mal raus ist. Das Schöne ist aber, dass der Kopf jetzt erst so richtig weiterrattert. Das Material auf der Bühne ist auch nur ein Teil von dem, was wir angesammelt haben. Natürlich ist es eine Erleichterung, dass das jetzt mal draußen ist. Aber das Thema kann nie fertig sein. Wir haben versucht, diese Paradoxie zur Dramaturgie zu machen: Dass man so viel erfahren hat, aber alles hat noch so viel mehr Fragen ausgelöst. Wir haben versucht, mit allen Themen, die aufgetaucht sind, sehr offen umzugehen. Das mag ich sehr, in der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tomas Schweigen: Dass man zeigt, dass Theater Konstruktion ist. Wir hatten große Lust, dass der_die Zuschauer_in auch mitdenken kann, bei der Konstruktion, bei der Form.
CG: Ja, diese Momente sind wirklich sehr lustig. – Ist dir noch etwas wichtig?
IZ: Ich glaube, es ist gut, dass das Stück da ist, weil das Thema wichtig ist. Geht es euch anschauen!
CG: Richt ich aus! Vielen Dank!
Blei
von Ivna Žic
URAUFFÜHRUNG
mit Vera von Gunten, Jesse Inman, Sebastian Schindegger
Regie: Tomas Schweigen
Bühne: Stephan Weber
Kostüme: Anne Buffetrille
Musik: Jacob Suske
Dramaturgie: Anna Laner
Mit Beiträgen von Anna A., Otto F., Gottfried Glawar, Miroslav Međimorec, Ljiljana Radonić, Aleš Senica, Zvonimir Springer
Fotos: (c) Matthias Heschl.