Transhumanismus setzt sich das Schauspielhaus Wien zu Beginn der Saison 17/18 als Thema vor. Gernot Grünewald hat aus Texten von Karel Čapek, Ray Kurzweil und Stanisław Lem eine musikalische Kollage geschaffen. Angesichts all der posthumanistischen Visionen stellt sich mir vor allem eine Frage: Was bedeutet es, Mensch zu sein?

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Die Zuschauer_innen nehmen an den Seiten eines Vierecks Platz, in dessen Mitte ein leuchtender, wechselnd transparenter Kubus über einer wasserbedeckten Drehbühne schwebt. Die Schauspieler_innen bereiten sich vor während das Publikum den hellen Raum betritt. Man nimmt Platz und schaut erst einmal sich selbst in Form des restlichen Publikum beim Kubus-schauen an.

Die Genesis bestimmt den Anfang. Gesungen tragen die drei Darsteller_innen die biblische Erschaffung der Welt und des Menschen vor. Sofort stellt sich ein Eindruck ein: Der Mensch hat die Religion erschaffen und sich selbst an die Herrschaftsposition einer Hierarchie von Wesen gestellt, die auch er – der Mensch (von sich selber bezeichnet) als Abbild Gottes – selbst herbei erzählt.

Dem ersten Schöpfungsakt des Abends folgt vermittels eines in Lehm getunken Steffen Link der zweite: Ein Menschenpaar erschafft den titeltragenden Golem. Dieser Sequenz dient der Kubus als Tempel – die Elemente Feuer, Erde, Wasser, Luft beeindrucken den ästhetischen Blick, im weitergeführten quasi-religiösen Singsang bleiben die Worte leider zum Teil unverständlich. Was Grünewald hier inszeniert ist eher Oper als Drama.

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Dass der Opernmodus des Abends der stimmlichen Ausbildung der Darsteller_innen etwas abverlangt, wird zum Ende hin immer hörbarer. Und auch die mögliche inhaltliche Tiefe des Themas Transhumanismus verdeutlicht sich im Verlauf des Stücks.

Während über mehrere auf die Außenwände des Kubus projizierte Figuren die Geschichte von Robotern, die sich ihrer dienenden Rolle entledigen und den Menschen als Spezies unterwerfen wollen, erzählt, spulen die Darsteller_innen in weitergeführtem Singsang quasi-religiös Text ab, der an Vorträge von Zukunftsforscher_innen denken lässt (strapaziert: die Worte „werden“ und „wird“). Obwohl das Bühnenbild eine ansprechende ästhetische Kraft entwickelt und trotz der eigentlichen Kürze des Abends empfinde ich durch das nicht völlig kohärente Textgeschwirr Längen.

„Hat der Roboter eine Seele?“

„Ich weiß es nicht.“

Die ARS Electronica, eines der international relevantesten Festivals für digitale Kunst & Technologie, stellte dieses Jahr angesichts der fortschreitenden Forschung im Bereich Künstliche Intelligenz die Frage: Was ist die Zukunft von Humanität? Führende Forscher_innen beschäftigte dabei die Suche nach dem „Wesen“ von künstlicher Intelligenz und kamen daran anschließend an einen spannenden Punkt: Im Denken über das Neue, das hier geschaffen wird, verwenden wir menschliche Sprache und Begriffe, die von Menschen für menschliche Wahrnehmung geprägt sind – welche Sprache wird dem „Wesen“ der künstlichen Intelligenz gerecht?

Als im Genesis-Prozess von „Golem“ endlich nicht mehr von „Robotern“, sondern von künstlicher Intelligenz die Rede ist, zeichnet der Text exakt die dystopische Ausformung der Debatte, der sich die Forscher_innen während der ARS Elektronika entgegenstellten. Bei Grünewald bezeichnet die künstliche Intelligenz am Ende den Menschen als „Invaliden“. Inhaltlich erinnert der Abend so an Science-Fiction-Visionen der frühen Nuller-Jahre.

Was angesichts der technischen Entwicklung das Mensch-Sein bedeutet, inwiefern sich das „Wesen“ des Menschen angesichts einer ihn in Vielem überragenden künstlichen Intelligenz auch ins Positive verändern kann. Welche Chance für das Menschsein die technologische Entwicklung bietet – Die Antwort auf meine Frage bleibt offen.


GOLEM ODER Der überflüssige Mensch
von Gernot Grünewald
nach Motiven von Karel Čapek, Ray Kurzweil, Stanisław Lem

Regie: Gernot Grünewald
Bühne & Kostüme: Michael Köpke
Musik: Dominik Dittrich
Video: Jonas Plümke
Dramaturgie: Tobias Schuster
Besetzung: Nicolaas van Diepen, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff

Premiere am 28. September 2017

Aufführungsdauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause


Fotos: © Matthias Heschl.

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