Der junge Regieabsolvent Alexandru Weinberger-Bara wählte mit „Foxfinder” (Dawn King, 2011) ein dystopisches und antiautoritäres Stück für seinen Abschluss am Max-Reinhardt-Seminar. Ich war gestern bei der Premiere und habe gesehen, in welcher Welt wir leben, wenn Fake News die neue Wahrheit sind. Die Performance hat mich überzeugt und zum Nachdenken über unsere heutige Gesellschaft angeregt. Wenn eine Aufführung das kann, dann nur her damit!
Reihen von Militärmänteln ohne Körper und Köpfe, an Seilen hängend. Düstere Musik leitet ein, Spotlight auf Judith und Samuel Covey (Maren-Sophia Streich und Robert Finster). Sie erzählen wartend vom Schicksal ihres Bauernhofs. Der Foxfinder William Bloor (Julian Waldner) erscheint und die Befragung beginnt. Krankheiten, der Todesfall des eigenen Kindes, Lieblingssexstellungen – nichts wird ausgelassen, denn alles kann auf die Anwesenheit der staatsgefährdenden Füchse hinweisen.
„Der Fuchs hat die Kraft, Verwirrung zu stiften, die psychisch Instabilen halluzinieren zu lassen und den Schwachen die Träume zu vergiften.“
„Foxfinder” ist ein idelogisches und anachronistisches Stück, das mehrfach auf die aktuelle politische Situation übertragen werden kann. Sei es ein Blick in den Norden der Welt, Trump und die USA oder ein Blick in den Osten, zu unseren Nachbarländern. Demokratie ist ein Gut, das geschützt werden muss, um nicht in der diktatorischen Autorität Einzelner zu münden. In einer „Postwahrheitswelt“, in der Alle potenzielle Kollaborateure der Füchse, des Bösen sind.
„Foxfinder” veranschaulicht, wie das Leben in einer Gesellschaft wäre, in der die von der Regierung gesandten Foxfinder überall nach Füchsen, DEM Bösen, suchen, um die „Kontaminierung“ des Landes zu beenden. Davon betroffen sind hier Bauern und ihre Bauernhöfe, deren einzige Aufgabe es ist, Leistung zu erbringen im Sinne einer neoliberal-kapitalistischen Gesellschaft. Diese Leistung definiert sich in Nahrungsmittelversorgung, in Abgaben an den Staat – hier kann wiederum eine Parallele zu dem kommunistischen System ehemaliger Ostblockstaaten gezogen werden, die Weinberger-Bara aufgrund seiner rumänischen Herkunft für besonders wichtig hält.
Über „Foxfinder” sagt er:
„Es ist ein Postwahrheitsstück.“
Was entsteht, wenn ein einzelnes Narrativ den kompletten Diskurs beherrscht und Inquisitoren (Foxfinder) ausbildet, die als 5-Jährige ihre Ausbildung in einem patriarchalen System beginnen, um mit 19 das Schicksal ganzer Familien zu entscheiden? Ein System, das Menschlichkeit aberkennt und stattdessen strukturellen Machtmissbrauch fördert. Sensibel und bewusst inszeniert Weinberger-Bara die Szene des sexuellen Übergriffs. Judith Covey will den verwirrten Foxfinder Bloor trösten. In der Umarmung entsteht im zölibatär erzogenen Bloor sexuelle Energie. Maren-Sophia Streich und Julian Waldner zeigen präzise den Moment, in dem der Missbrauch beginnt. Wir verfolgen die Entscheidung des Foxfinders, seine Machtposition auszunutzen, atemlos mit. Anzurechnen ist dem Team, dass der sexuelle Missbrauch nicht als sexy Potenzial realisiert wird und somit als eine der vielen Machtmissbrauchspraktiken zu verstehen ist.
Die Schauspieler und die Schauspielerin spielen überzeugend, besonders der starke Kontrast zwischen dem jungen Aussehen und dem strengen, diktatorischem Verhalten fällt bei Bloom auf. Die generell düstere Atmosphäre wird auch von der Musik- und Lichtinszenierung von Anfang bis zum Ende der Parabel unterstützt. Außerdem gibt der klare Schnitt zwischen den Szenen dem Stück, den bereits auf inhaltlicher Ebene vorhandenen militärischen Ausdruck. Szenen, die sich im Wald bei der Fuchsjagd abspielen, werden mit dem Rücken zum Publikum gezeigt. Das Unbekannte, das Böse, die Füchse, wird somit gemeinsam mit dem Publikum gesucht.
Durch minimalitische, theatrale Elemente erzeugt Weinberger-Bara eine Welt, in der man als einfache_r Bürger_in in allen Aspekten seines Lebens überwacht wird. Ob sich dies zum Guten wenden kann, lass ich euch, den Leser_innen, offen. Ihr könnt euch bei den nächsten Vorstellungen am 4., 6. oder 7. November selber davon überzeugen.
Fazit: Eine düstere und überzeugende Performance, die zum Nachdenken anregt.
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FOXFINDER
von Dawn King
Deutsch von Anne Rabe
Regie: Alexandru Weinberger-Bara
Bühnenbild: Vasilla Grebenshchikova, Dmitrij Murashov
Kostüme: Vasilisa Grebenshchikova
Licht: Gerhard Fischer
Sounddesign: David Lipp
Regieassistenz / Inszipienz: Uwe Reichwaldt
Es spielen: Julian Waldner, Robert Finster, Maren-Sophia Streich, Sophie Reiml
Premiere am 03. November 2017
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Fotos: Regiesseurenportrait (c) NeueWiener, Szenefotos (c) Andrea Klem.
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