An David Bowies Lebens- und Karriereende steht nicht nur sein gefeiertes Album „Black Star“, sondern auch das Broadway-Musical „Lazarus“, das derzeit am Volkstheater Wien zu sehen ist. Über die Differenz von Kunst und Kitsch und eine Suche nach David Bowie und Miloš Lolić.
„Lazarus“ ist vor allem eines – die ganz große Entzauberung eines der größten Magier der 20. Jahrhunderts. Schon zu Stückbeginn frage ich mich: Brauch ich das? Soll man aus David Bowies sensibler Zerbrechlichkeit, seiner depressiv-behaupteten Omnipotenz ein Musical machen? Mit welchem Mehrwert?
Vier namenlose Glitzergirls dienen zwei versoffenen, alten Männern als Rahmen
Der irische Dramatiker Enda Walsh entwickelte gemeinsam mit David Bowie eine Story, die alle wesentlichen Bowie-Songs in ein Musical zusammenfassen sollte. Die Story stimmt der Idee nach mit Bowies Markennarrativ überein, aber in der Transformation von Sänger-Ich zu Bühnenerzählung gehen alle Facetten, geht alle Schutzbedüftigkeit verloren. Übrig bleibt die Geschichte eines unendlich reichen, alten Mannes, der nichts mit seinem Leben anzufangen weiß und „auf seinen eigenen Planeten“ will. Vier „Teenage-Girls“ sollen ihn aus seiner Depression retten. – Hallo, 2018.
Hier ein Mitschnitt-Teil aus der Broadway-Version:
Dass sich diese schwache (und ärgerliche) Story halbwegs ausgeht, ist Katharina Klar, Christoph Rothenbucher, Gábor Biedermann und nicht zuletzt Günter Franzmeier zu verdanken, der sich die Rolle des Bowie – äh Verzeihung – Newton annimmt, als ob dies nicht ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen wäre.
Vier großartige Schauspielerinnen des Volkstheater-Ensembles werden von der Story in die Rolle von geisterhaften „Girls“ gezwängt. Namenlos und zudem auch quasi textlos spielt Claudia Sabitzer als „Japanerin“ eine wandelnde Modepuppe. Kasper Locher taucht als viel zu klein zitierte „Normalität“, als eifersüchtiger Liebhaber, an den Rändern des Stückes immer wieder auf. In der Mitte des Textes: Newton, ein Billionär, der an Liebeskummer leidet und vor lautet Saufen nicht mehr weiß, was oben und was unten ist.
„Der Text ist massiv bochn, wenn man das so oberösterreichisch zusammenfassen darf. Und dafür verantwortlich zeichnet er: David Bowie, der Zauberer himself.“
Auf der Suche nach dem Feuerwerk
Gefreut hatte ich mich auf die künstlerische Auseinandersetzung des queeren, körperbetonten Regisseurs Miloš Lolić mit dem queeren, zerbrechlich-mächtigen Bowie. auf ein schillerndes Verschwinden von Identitäts-Grenzen in Sehnsucht, Tiefe und Spaß am Spiel. Den ersten Sieg dieses schwierigen Abends trägt Lolić mit seinem amtosphärischen Bühnenbild (Wolfgang Menardi) davon: ein fluriszierendes Aquarium aus den 70ern, in dem sich Menschen wie Geister tummeln, und augestopfte Leihgaben des Naturhistorischen Museums Wien eine krude Welt erzählen.
Doch geht zwischen bochenem Text und stimmlich schwierigen Liedern irgendwo der Blick auf die Regie verloren. Kurz werde ich traurig – mitten drin – und denk:
„Das geht sich einfach alles nicht ganz aus.“
Jedes Lied erinnert mich an Bowie. Gleichzeitig höre ich die live-Version auf der Volkstheater-Bühne und meine Erinnung an Bowie’s Original in meinem Kopf. Die Differenz lässt mich traurig die Sehnsucht fühlen, mit der ich über Bowies Tod nachdenke. Und die Sehnsucht, die er in jedem seiner Songs bis ans Äußerste fühlbar macht. Ich sehne mich nach seiner Stimme.
Dazu kommt der österreichisch/deutsche Akzent vieler Spieler_innen auf der Volktheaterbühne, der beim Singen der englischen Lieder deutlich hörbar ist. I miss you, Bowie, denk ich wieder.
FAZIT: Der Abend macht Spaß. Auf der Bühne gibt es viel zu entdecken, die Darsteller_innen haben sichtlich Spaß am Singen. Wen die Runde male tears nicht stört, kann hier einen sehr schönen Abend haben.