Bei der Preisverleihung der Diagonale 2019, dem Festival des österreichischen Films, konnte der Kulturminister auf der Bühne keinen einzigen österreichischen Kinofilm nennen. Gleichzeitig wurde eine dubiose Anfrage aus dem Ministerium an die Akademie des Österreichischen Films bekannt. Der Versuch einer Vermessung von Gernot Blümels Kulturverständnis.
15. April 2019 – Clara Gallistl
Dieser Text wurde in gekürzter Version zuerst auf Mosaik-Blog.at publiziert.
Über Gernot Blümels Kulturbegriff zu schreiben, ist wie einen Traum nachzuerzählen. Man kann recherchieren, reflektieren, einschätzen und abwägen, aber ganz kann man ihm nicht habhaft werden. Und wie bei der Erinnerung eines Traumes meint man denjenigen Elementen, die man klar und deutlich erkennt, nicht ganz vertrauen zu können. Um folgende Vermessung so nachvollziehbar und konkret wie möglich zu gestalten, liegen ihr zwei öffentliche Texte zugrunde: Blümels Rede bei den Salzburger Festspielen 2018 und seine Statements bei der Preisverleihung der Diagonale 2019.
Die Anfrage aus dem Ministerium
Vergangenes Wochenende berichtete der Standard von zwei Briefen an das Bundeskanzleramt, die in der heimischen Filmbranche derzeit für Unruhe sorgen. Der eine stammt vom Produzentenverband Film Austria und bezieht sich auf die spontane, im Rahmen der Verleihung des österreichischen Filmpreises im Jänner diesen Jahres gehaltenen kritische Rede von Gerald Kerkletz, einem Sprecher der regierungskritischen Initiative „Klappe auf“, die zuletzt auch an der Donnerstagsdemo beteiligt war. Im Brief beschwert sich laut Standard die wirtschaftsnahe Film Austria über die politische „Instrumentalisierung“ des Filmpreises.
Als Reaktion auf diesen Brief griff eine ungenannte Person aus Gernot Blümels Einflussbereich im Bundeskanzleramt zum Telefon und rief Josef Aichholzer, den Obmann der Akademie des österreichischen Films, die die Preisverleihung auf der es zu oben genannter kritischen Rede gekommen war, ausgerichtet hatte, an und verlangte offensichtlich Erklärung für die Causa worauf hin sich Aichholzer und Akademie-Präsident Stefan Ruzowitzky gezwungen fühlten, ihrerseits einen klärenden Brief an das Bundeskanzleramt zu verfassen.
Neu sind derartige Differenzen innerhalb der Filmbranche nicht. Wie überall wo Wirtschaftstreibende und Künstler_innen unterschiedlicher Weltanschauungen aufeinandertreffen, fliegen manchmal die Fetzen. Doch ein Anruf aus dem Ministerium? Das erstaunt.
„Sollte sich herausstellen, dass hier ein Versuch gestartet wurde, der Kultur einen Maulkorb umzuhängen, wäre das völlig untragbar“, meint dazu Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Liste JETZT.
Für Kunst- und Kulturschaffende ist es seit Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Türkis-Blau zu Manifestationen aus dem Bereich der Alpträume gekommen. Innerhalb der Branchen werden seit einige Monaten Geschichten über den Mann am Steuer des türkisen Traumschiffs im Bereich Kunst und Kultur erzählt. Doch aus Angst vor dem Verlust von Förderungen möchte niemand öffentlich Kritik am Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien üben. Was bleibt sind die öffentlichen Reden Gernot Blümels. Und sie verbergen wenig.
“Das beste Mittel gegen Europaskepsis und Krisenbeschwörer wäre wohl, wenn sich alle Pessimisten auf die Festspiele einlassen würden. Fast traue ich mich zu behaupten: Viele wären auf einen Schlag von ihrem Pessimismus kuriert. Alleine durch die Wirkung der Kunst und Kultur in dieser künstlerischen Hauptstadt Europas!” (Gernot Blümel, Rede bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele, 27. Juli 2018)
Die Salzburger Rede – Kultur im Dienst der Politik
Juli 2018: Gernot Blümel spricht bei den Salzburger Festspielen. Es ist eine konservative, regelrecht aristokratische Rede, die Kunst und Kultur als emotionalisierende Verpackung politischer Ideen propagiert:
„Kunst und Kultur sind besser als jeder andere Bereich dazu geeignet, Emotionen in Menschen zu wecken. Und es braucht diese gemeinsamen Emotionen in Europa, wie ich schon ausgeführt habe. Denn ‘niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt’, hat ein großer Europäer einmal gesagt. So wichtig er auch sein mag.” (Philosoph und Manager Gernot Blümel in Salzburg)
Immer wieder beschwört der Kulturminister, es gelte das Europäische Kulturerbe zu wahren, die Europäische Kunst zu bewerben und – Brücken zu bauen. Letzteres sei, so Blümel im Zuge einer Veranstaltung der Zeitschrift „Die Zeit“ in Wien im Sommer 2018 – eine „genuin österreichische Angelegenheit“ und spielt damit einerseits auf die eindimensionale Legitimation des Habsburgischen Reiches an, die vor allem vor und während des Ersten Weltkrieges propagiert wurde. Andererseits bedient er sich der Übernahme einer Metapher aus dem Symbolraum der offenen und gleichberechtigten Gesellschaft. Was meint Gernot Blümel, wenn er „Brücken bauen“ sagt?
„Blümel greift damit auf eine Strategie zurück, die im rechtskonservativen und rechtsextremistischen Lager schon länger propagiert wird: Semantisches Verwirrspiel. Damit werden progressive und linke Begriffe genommen, ihres Sinnes entledigt und mit einer neuen Beduetung gefüllt. Sie lehnen damit nicht offensiv etablierte Begriffe ab, sondern sagen das Selbe, aber meinen etwas Anderes“ analysiert Politikwissenschafterin Natascha Strobl.
Die Grazer Rede – Desinteresse für das eigene Ressort
März 2019: Gernot Blümel wird zur Eröffnung der Preisverleihung auf die Bühne der Diagonale, des Festivals des österreichischen Films, gebeten. Vorangegangen war die sehenswerte, differenzierte und pointiert formulierte Begrüßung des Publikums durch das Intendanten-Team Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber. Sie seien in den Tagen vor der Preisverleihung häufig gefragt worden, wie sie vorhätten, Bundesminister Blümel zu begrüßen (min 35). „Eine zugegeben komische Frage“, meint Peter Schernhuber bevor er Blümels Auftauchen beim heimischen Filmpreis mit dem Besuch eines Rapid-Fans im Austria-Stadion vergleicht.
Schauspielerin und Moderatorin Susi Stach bittet Gernot Blümel gemeinsam mit dem steirischen Kulturlandesrat Christopher Drexler (ÖVP) auf die Bühne. Im Doppelinterview zeigt sich das unglaubliche Desinteresse Gernot Blümels am eigenen Ressort. Dass Blümel im Gegensatz zu Drexler keinen einzigen Film aus dem Programm der Diagonale gesehen hat, mögen wohlwollende Geister noch mit der beruflichen Mehrfachbelastung des Ministers erklären. Doch dann stellt Susi Stach eine Frage auf die wohl jede halbwegs kulturinteressierte Person in Österreich auf Anhieb zwei, drei Titel nennen könnte: „Was ist Ihr Lieblings- Österreichischer Film?“ Der Kulturminister – anders als sein Parteikollege Drexel – rudert peinlich überfragt in Oberflächlichkeiten herum ehe er den ORF-Fernsehfilm „Maximilian“ nennt.
Gernot Blümels Vorliebe für historische Biopics zeigte sich auch in der Agitation für 30% ‚europäische Inhalte‘ auf NETFLIX. “Wer von Ihnen kennt die Medici?”, fragte ein von sich überzeugter, gut gelaunter Gernot Blümel im Juni 2018 ins 40-Personen starke Publikum der „Die Zeit“-Konferenz, “Super Serie“.
Blümels Kulturbegriff
Gernot Blümel hat in Wien Philosophie und Business Administration studiert, doch zentraler scheint seine Karriere innerhalb der ÖVP zu sein. Seit Jänner 2018 hat er die Agenden des Bundeskanzleramtes für EU, Kunst, Kultur und Medien über. Dazu ist er Landesparteiobmann der Wiener ÖVP. Was meint Blümel nun, wenn er „Kultur“ sagt?
Eines ist klar. Blümels Kulturbegriff steht dem bourgeoisen Tourismus näher als heimischen kritischen Kulturvereinen. Wäre es anders, hätte Blümel gegen die Streichung der Fördermittel für das Anschläge-Magazin sowie viele andere, hocheffektive, kritische Kunst- und Kulturinitiativen, allen voran feministischer und migrantischer, protestiert. Doch anstelle eines Kämpfers für die heimische Kulturproduktion entfaltet sich in Reden und öffentlichen Statements einerseits das schimmernde Bild eines reaktionären Europapolitikers, der von der antiquierten, privilegierten und unkritischen Version einer Europäischen Idee aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert beseelt scheint.
Darunter zutage tritt das Gesicht eines uninformierten und desinteressierten Machtpolitikers, den Fragen um gesellschaftliche Veränderung in Richtung Gerechtigkeit und gleichberechtigter Teilhabe nicht den Schlaf rauben.
„Maximilian“ und „Die Medici“ haben viel gemeinsam. Was aufs Erste unverdächtig privat wirkt entlarvt sich im post_kolonialen Blick als die Weiße HIStory einer stolzen, europäischen Elite, die ihre Privilegien weder erkennen, noch teilen möchte. Kunst und Kultur sind keine Werkzeuge kritischen Handelns, die täglich an einer friedlichen Gesellschaft für Alle arbeiten, sondern reduziert auf ihre rein ästhetische Wirkungsmacht.
Der Kulturminister ignoriert die zeitgenössische österreichische Kunst und Kultur genauso wie er die wahre Diversität der europäischen Kulturen und Fragestellungen globalen Kunstschaffens ausblendet. Worte der gesellschaftspolitischen Aufgabe von Kunst und Kultur muss man in Blümels Texten suchen gehen.
Blümels Kulturstrategie für Österreich
Was bedeuten diese Elemente einer verträumten türkisen Metaebene nun für den konkreten Arbeitsalltag österreichischer Kunst- und Kulturschaffender?
Das Staatsbudget wird zunehmend aristokratisch verteilt. Dem Kulturgenuss bourgeoiser Tourist_innen wird die Kunst des Bewahrens längst vergangener Werke aus Musik und Malerei vorgetragen. Alteingesessenes erhält Förderungen, Sponsoring, mediale Aufmerksamkeit und wird international zum Stolz der Nation erklärt.
Österreichs Kulturstrategie für Blümel
Wie reagieren nun die heimischen Kunst- und Kulturschaffenden? Österreichs Kunst- und Kulturschaffende haben, so scheint es, nur eines zu erwarten: Weitere Kürzungen, noch weniger Aufmerksamkeit, noch weniger Mitsprache. Verdrängung ins Ehrenamt, in die Armut oder in andere (nicht-künstlerische) Branchen. Die Filmbranche sei von Nervosität und Konkurrenzdruck gezeichnet, schreibt der Standard. Briefe wie jener der Film Austria an Blümels Ministerium deuten auf die Tendenz hin, „sich gegenüber der Politik einen gewissen Startvorteil zu verschaffen“ (der Standard).
Doch zeigen Initiativen wie „Klappe auf“ oder „DIE VIELEN“, neue Preise wie der „Filmpreis Gloria“ oder öffentliche Texte wie der von KUPF-stv. Geschäftsführerin Verena Humer, dass es auch anders geht.
„Unserer Last der chronischen Unterfinanzierung bei gleichzeitiger Kapitalisierung von freier Kulturarbeit ist […] am besten gemeinsam beizukommen.” (Verena Humer)
Vielleicht erzählt man vom Kulturverständnis unseres Kulturministers am Besten, dass er am Liebsten Fernsehfilme über Habsburgische Kaiser aus dem 15. Jahrhundert sieht und häufiger über Wirtschaftsstandorte als über die soziale Sicherheit von Künstler_innen spricht. Österreichs Künstler_innen und Kulturschaffende jedenfalls entscheiden sich immer mehr bewusst zur Angstfreiheit, zur Selbstorganisation und zum Zusammenschluss. Dass die Abgewöhnung staatlicher Finanzierung ganz im Sinne des Regierungsprogramms ist, bleibt als bitterer Geschmack bei aller Freude um die Solidarität unter Kunst- und Kulturschaffenden zurück.
Danke, Clara, und Bravo!!!
Sepp
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