Transgender-OP im Großstadtbrunnen.

“Ein Körper für Jetzt und Heute” von Mehdi Moradpour am Schauspielhaus Wien

Fett im Raum steht ein Springbrunnen in Markusplatzgröße mit Graffiti gegen Gentrifizierung. Wenig später der zweite Eindruck: Es stinkt ein bisserl. Das Wasser auf der Bühne. Zino Wey hat Mehdi Moradpour’s Text “Ein Körper für Jetzt und Heute” auf die Bühne des Schauspielhauses gesetzt. Wenn das ein Kampf war, hat der Brunnen über den Text gewonnen. Leider.

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Franz Tunda auf der Flucht vor sich selbst – Felix Hafner inszeniert Joseph Roth

Zehn Jahre vor Roth’s weltbewegendem Signature-Roman „Die Kapuzinergruft“ erscheint „Die Flucht ohne Ende„. Beide Texte erzählen von einem männlichen österreichischen Staatsbürger auf der Suche nach sich selbst. Felix Hafner setzt seinen Franz Tunda erst mal in eine Kiste – zum Wohl des Protagonisten.

Die Flucht ohne Ende, Tobias Artner c Alexi Pelekanos.jpg Weiterlesen

Gesellschaftskritik mit Humor – bitte mehr davon! „Mehltau“ im Theater Brett

Playground gastierte gestern mit der Uraufführung von „Mehltau“  im Theater Brett. Das Stück von Florian Drexler und Patrick Trotter überzeugte das Publikum mit makaberem Humor, genialen Dialogen, schöner Musik und aktueller Gesellschaftskritik. Am Ende wurde so lange geklatscht, dass die SchauspielerInnen fast aus der Puste waren.

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Mit traurigem Ernst – Hanna Binder spielt Charlie Manson

„Im Auftrag Charles Mansons“ feiert Premiere an dem Tag, an dem Charles Manson stirbt. Mit unheimlich großen, schwarzen Augen lädt Hanna Binder ein, im Werk X – Eldorado (Petersplatz) in die Abgründe des menschlichen „freien Willens“ zu blicken. Der Abend ist die Reise wert.

Achtungsetzdich! und das Werk X kooperieren in einer Stückentwicklung, die drei Frauen aufs Podest holt. Charles Manson wird zwar als Massenmörder in die Geschichte eingehen. Doch die Morde beging nicht er – sondern seine „family“. Wie kann ein Mann andere derart manipulieren? Diese Frage lag am Ursprung der Stückentwicklung, in die Originaltexte ebenso wie neu Geschriebenes einfloss. Hanna Binder spielt überzeugend den Sektenanführer Charlie, der von seiner „family“ gefürchtet wie angebetet wird.

manson01Zu Beginn weiß ich nicht so recht, wo ich bin – einem halbinspirierten Hippie-Traum aus Pappmarché und „beweglichen Elementen“? Doch dann nimmt Hanna Binder die Füße von Henrietta Rauth zu lecken, und hineinzubeissen. Schnell wird aus lustig sexy, aus sexy Ernst und aus Ernst Angst. Man lacht noch drüber, aber der Scherz ist längst verflogen. Hanna Binder hat narzistische Manipulation studiert.

manson03.jpgMit tiefer Stimme und maskulinem Habitus nimmt sie die Führungsrolle ein. Sie erschafft die Identitäten der Frauen neu, die ihm – Charlie – in die Fänge geraten. Das Regieduo Leitner/Werner stellt konsequent die drei Frauen aus. Einzeln stehen sie gut ausgeleuchtet auf ihren Podesten und geben Statements ab. Sie fühlen sich „schön und geliebt“ und sind der Überzeugung „Jesus“ vor sich zu haben.

In Teils leider schwer verständlichen Verschwörungstheorietiraden hämmert Hanna Binder nicht nur auf die drei Frauen, sondern auch auf das Publikum ein. Auch wir sind Teil ihrer „family“ auf der „Range“, am Weg ins Death Valley, um den von Manson prophezeiten ‚Rassenkrieg‘ „helter skelter“ zu überleben.manson06

Auf Beatles-Spirit-Unterlage wird der Alltag der Range anzitiert. Gitarre, Gewalt, Liebe, Drogen, Sex und satanistische Indoktrinierung stehen an der Tagesordnung. Wer möchte, kann sich vorstellen wofür Zeitungspapier, Knisterkaugummi, Malfarben und Messer stehen. Mit traurigem Ernst züchtigt Hanna Binder ihre drei Mitspielenden, erhebt sie auf die Stufe eines geliebten Subjekts und wirft sie nieder mit der Gewalt eines grenzenlosen Caligula. Braucht der freie Wille Grenzen? Die Unberechenbarkeit Charles Mansons wirkt auf mich im Publikum ein. Ich weiß nicht mehr, wann er wo wie auftauchen wird. Wann er zu schreien beginnt und wann er süß und liebevoll spricht.

Beeindruckend changiert Hanna Binder zwischen grollenden und sanften Stimmen. Zwischen klaren Worten und abstrusen Verschwörungstheorien. Zwischen positivem Hippie-Vibe und unmenschlicher Härte. Zwischen Verkörperung des irren Bösen und ironischer Distanzierung zwischen Schauspielerin und Rolle.

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Lustvoll beobachtet man neben Binder, die das Publikum in den Bann zu prügeln weiß, auch Naemi Latzer, die mit klebrigem Blick das Publikum mustert. Die sympathische, junge Frau (Michaela Schausberger )auf der Suche nach Anerkennung und Liebe erzählt, dass Sterben wie ein Orgasmus sei und man Liebe nur durch Schmerz und Angst finden könne. Ihre Gesichtsmuskeln deuten Glück an, während die Augen die Verletzung nicht verbergen können.

Die gewalttätige Naivität, die dichten, unauthentischen Emotionen – Naemi Latzer weiß das Sektenhafte in den Blick zu nehmen. Gruselig faszinierend ist der Blick in ihre Augen.

Dieser Blick, diese Morde – Charles Manson’s family bildet gemeinhin das Ende des Experiments der 1960er Jahre. Wenige Handgriffe hätten noch gefehlt, um die ideale Form für die Bühne zu finden. Aber auch so ist „Im Auftrag Charles Mansons“ die Reise in den Ersten Wiener Gemeindebezirk wert.

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Fazit: „Im Auftrag Charles Mansons“ ist ein Trigger, der Erinnerungen an reflexartige Unterwerfungen weckt. In mir kamen physisch gespeicherte Emotionen hoch, die mich von außen begreifen ließen, wie Macht funktioniert. Und wie sehr sich das Patriarchat mittels Verunsicherung und Verfügbarmachung in Körper und Geist einschreiben kann – wenn man es lässt.

IM AUFTRAG CHARLES MANSONS
Eine Stückentwicklung von achtungsetzdich! und dem Ensemble
Uraufführung
Eine Produktion von achtungsetzdich! in Kooperation mit WERK X
Inszenierung: Ursula Leitner & Valentin Werner
Mit: Hanna Binder, Naemi Latzer, Henrietta Isabella Rauth und Michaela Schausberger
Bühne/Kostüm: Sarah Sassen
Musik: Lars Völkerling
Regieassistenz: Christina Ulrich
Ausstattungsassistenz: Magdalena Lenhart

Fotocredit: © Nicole Viktorik

Die Jugend bewaffnet sich. Thomas Köck und Elsa-Sophie Jach am Schauspielhaus Wien

„Heute heißt Freiheit verschuldete Müdigkeit.“ lässt Thomas Köck seinen Jugend-Chor sagen. Gemeinsam mit der Regisseurin Elsa-Sophie Jach ist dem jungen, österreichischen Dramatiker mit „Diese Zukunft reicht uns nicht (klagt, kinder, klagt)“ ein beeindruckender Blick in die politische und mediale Gegenwart gelungen. Erbschaftssteuer, Instagram, Schlagstöcke. Die Jugend hat begonnen Banden zu bilden.

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bis 16. Dezember 2017 im Schauspielhaus Wien. zu den Terminen

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Bonnie wartet und beschäftigt sich erst mal mit den schönen Dingen.

Fashionblogger, Foodblogger, Lifestyleblogger – alle Instagrammer muss man in diese Inszenierung reinsetzen, Leute, die sich am Sonntag gern Zeit fürs Feuilleton nehmen, und solche, die Spaß am cleveren Non-Sense haben. Wobei, Sinn macht dieser sehr gut gearbeitete, stürmische, klingende Theaterabend ja. Ich war bei „Arme Gerechtigkeit, liegst im Bett und hast kein Kleid“ von Franz-Xaver Mayr und Korbinian Schmidt im Theater Drachengasse.
*** Franz-Xaver Mayr ist aktuell für den NESTROY Preis 2017 nominiert. ***

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zu den Terminen

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GOLD SCHLAMM ENTERTAINMENT

Nominiert für den Newcomer Award 2017 ist die Volksbühne Wien mit dem Stückentwurf „Gold Schlamm Entertainment“ – einer feministischen Neuinterpretation von Shakespeares „Sturm“, in der Caliban nicht nur zur Vertreterin des weiblichen Prinzips an sich, sondern auch zum Mittel feministischer Kritik des zeitgenösischen Theaterbetriebes wird.

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Premiere: 29. Mai 2017 I 20:00 I Theater Drachengasse (1010 Wien) [ausverkauft]
weitere Vorstellungen: 30. Mai – 17. Juni, Di-Sa, je 20:00
Klicke hier für Tickets
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Verwässerte Rassismuskritik und Blackface – „Weiße Neger sagt man nicht“ am TAG

Das für seine stabile künstlerische Handschrift und ebenso stabile Position in der liberal-bürgerlichen Wiener Theaterlandschaft bekannte TAG – Theater an der Gumpendorferstraße wagt sich an ein heikles Thema: Rassismus gegen Schwarze in der zeitgenössischen, österreichischen Arbeitswelt. Das Publikum kicherte die 80 Minuten durch. Ich musste nach dem Applaus den Raum vor Wut und Tränen zitternd verlassen. Eine Erklärung meines emotionalen Kontrollverlusts. [Dieser Text enthält Spoiler, falls das für jmd was zur Sache tut.]

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weitere Vorstellungen: Mai 8., 11., 12., 13., 23., 24., 31. I Juni 3., 6., 7., 8. (je 20.00)
Am 12. Mai findet im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch statt.

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“Wir wollen uns in ein Verhältnis setzen und dabei immer in Bewegung bleiben.” – Dramatikerin Ivna Žic über “Blei” am Schauspielhaus Wien.

Die Dramatikerin Ivna Žic hat sich in einen monatelangen, intensiven Stückentwicklungsprozess mit dem Ensemble des Schauspielhauses Wien begeben. Im Zentrum der Untersuchung stand der Großvater der Autorin, der zwar bei der Rücksendung mehrerer tausender Kroat_innen an der Grenze in Bleiburg 1945 anwesend war, und am Marsch zurück teilnahm, in seinem Leben aber nie darüber gesprochen hatte. „Blei“ ist zeitgenössisches Doku-Theater – spannend, berührend und notwendig für die Aufarbeitung Zentraleuropäischer Geschichte.

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Premiere: 20. April 2017 I weitere Termine: Mai 6., 11., 12., 13., 23., 24.

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