Die Bühnenbearbeitung von Fatih Akins Film „Gegen die Wand“ im Werk X hatte bereits vor vier Jahren Premiere. Nun wurde es für zwei Vorstellungen wiederaufgenommen und kann noch einmal zeigen, was postmigrantisches Theater heute sein kann.

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Derzeit keine weiteren Termine geplant.

Sibel und Cahit stehen nebeneinander vor dem Publikum, hinter ihnen eine Wand aus Schaumstoffmatratzen. Sie 20, er 40, fassen den Entschluss zu heiraten. Aber nur zum Schein. Da sie Türkin ist, darf sie erst von zu Hause ausziehen, wenn sie verheiratet ist. Ihre Eltern akzeptieren nur einen Türken als Schwiegersohn. Cahit kommt ihr da gerade richtig. Sie teilen eine Selbstmorderfahrung und vielleicht rettet diese Scheinhochzeit beide. Sie haben einander, teilen eine Wohnung, aber leben beide ihre eigenen Leben. Sie feiern und trinken und haben Sex wann und mit wem sie wollen. So zumindest der Plan…

Was Akins Film schon gemacht hat, kann Alexander Simons Inszenierung im Werk X noch besser (Bühnenbearbeitung: Leila Abdullah und Alexander Simon): zwischen verschiedenen Kulturen hin und her schwenken und dann doch wieder beides gleichzeitig auf der Theaterbühne vereinen und es zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen. Denn so funktioniert nun mal unser Zusammenleben heute. Man trinkt Tee aus kleinen Gläsern und dann Wieselburger aus der Dose, man redet Deutsch, dann Türkisch, die Braut trägt bei der Hochzeitszeremonie weißen Schleier und dann artet die Party in eine Orgie aus Alkohol und Sex aus. Nach Fritz Kalkbrenner läuft Musik vom Balkan oder aus der Türkei.

Simons Inszenierung kann dabei vielleicht noch besser als der Film die Hybridität dieser Identitäten und Leben zwischen Deutschland und der Türkei, zwischen Europa und Asien, zwischen hier und dort erfahrbar machen. Werden wir im Theater nicht immer schon Zeuge der Verschmelzung zweier Identitäten in einem Körper? Verbinden sich im Theater nicht immer schon mehrere Personen, Orte und Zeiten?

Im Werk X gibt es keine vierte Wand, die Darsteller_innen spielen manchmal auf der Zuschauer_innentribüne. Es gibt auch kein Off, alle Requisiten sind schon auf der Bühne und die Darsteller_innen ziehen sich vor den Augen des Publikums um, wechseln ihre Rollen (Ausstattung: Monika Nguyen). Schaut her, scheint diese Inszenierung ins Publikum mitteilen zu wollen, wir verstecken uns nicht, sondern zeigen euch, wie Theater funktioniert. Wie eigentlich immer auf dem Theater werden Orte heraufbeschworen, die eigentlich gar nicht da sind und die gemeinsam von Publikum und Ensemble imaginiert werden.

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„Gegen die Wand“ ist dazu erstklassig besetzt. Besonders Zeynep Buyraç als Sibel spielt hervorragend die junge Frau, die unabhängig und emanzipiert sein will und die ihren eigenen Weg sucht und findet, um gesellschaftlichen und moralischen Vorstellungen zu entfliehen. Und auch die anderen Schauspieler_innen wechseln schnell zwischen Slapstick und Ernst, zwischen übertriebenem Spiel und nüchterner Darstellung, zwischen Verfremdung und Identifikation. Ihr Spaß am Spiel überträgt sich ins Publikum. Und manchmal nehmen sie sich auch selbst auf die Schippe.

„Ist das jetzt postmigrantisch nicht zu ficken, wenn man zusammenwohnt?“

So wird das Publikum Teil einer Auseinandersetzung von Lebensentwürfen, wie sie heute alltäglich sind: Leben, die nicht nur in einer Kultur zu Hause sind, die sich in mehreren Städten zurechtfinden, in mehreren Ländern und mit verschiedenen Sprachen jonglieren und die Grenzen zwischen Vokabularen und Grammatiken sprengen. Dass diese Leben nicht ohne Konflikte, Auseinandersetzungen und kleinen und großen Katastrophen auskommen, ist selbstverständlich und sorgt für das nötige Identifikationspotenzial.

Fazit: Alles stimmt in dieser Inszenierung. Die Schauspieler_innen stellen überzeugend eine Geschichte dar. Schauspielstile und Inszenierung transponieren eine Metaebene über postmigrantische Lebensentwürfe. So bewegt sich das Werk X mit „Gegen die Wand“ am gesellschaftlichen Zahn der Zeit und macht vor, wie Theater heute sein sollte.

Gegen die Wand
Theaterfassung nach dem gleichnamigen Film von Fatih Akin
Bearbeitung: Leila Abdullah und Alexander Simon
Inszenierung
:  Alexander Simon
Ausstattung:  Monika Nguyen
Dramaturgie:  Hannah Lioba Egenolf
mit: Zeynep Buyraç,  Aslı Kışlal,  Tim Breyvogel,  Dennis Cubic,  Arthur Werner,  Harald Windisch

 Fotos: (c) Yasmina Haddad

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