Teil 3 der Reihe „Thomas Köck und Wien. Der Anfang“ [rezension]
Am Montag den 7.März 2016 wurde Thomas Köck’s Stück „jenseits von fukuyama“ seiner österreichischen Erstaufführung zugeführt. Dies geschah zwei Jahre nach der Uraufführung in Osnabrück (Deutschland). Auch „isabelle h. (geopfert wird immer)“, der zweite Text, mit dem der junge Oberösterreicher Köck bereits einen international anerkannten Dramatikerpreis gewann, wurde nicht in Österreich, sondern in Kaiserslautern (D) uraufgeführt.
Nun betrat Köck zum ersten Mal den Wiener Theaterboden. Und zwar in der Drachengasse unter der Regie von Katharina Schwarz, die gemeinsam mit dem Bildenden Künstler Simon Schaab ein Konzept entwickelte, das die Schauspieler_innen in einem Licht&Sound-Apparat, einer abstrusen Arbeitsplatzmaschine, zwischen dem Publikum spielen lässt. Um es gleich vorwegzunehmen: Köck kann man sich ansehen! Und man sollte es auch tun. Weil es irgendsowas wie eine allgemeine Pflicht gibt, den künstlerischen Nachwuchs seiner „Heimatkultur“ zu kennen. (Natürlich *flüssiges Kulturkonzept / und: *Heimatsbegriffkritik / und: Man sollte nicht nur den eigenen Nachwuchs kennen. /und: „eigene“ und „andere“. – Waren das genug Anführungszeichen und Sternchen?)
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Bevor ihr googlen müsst: „fukuyama“ ist nicht „fukoshima“, sondern Francis Fukuyama –Professor für Politikwissenschaften in Stanford (USA).
Er verkündete 1992 das Ende der Geschichte und der Menschheit.

Der Abend von Thomas Köck und Katharina Schwarz begann mit Sprechübungen. Drei Lichtsäulen, beweglich/drei-teilig, mit Mikrofonen. Zwei Männer, drei Frauen sprechen Worte in die Säulen und blicken nach oben, als ob sie auf der Suche nach einem Codewort wären.

Das Stück hat noch nicht begonnen. Eine Besucherin stößt im Hereingehen versehentlich einen Stuhl um. Thomas Köck, der im Publikum sitzt, reagiert lachend spontan auf die Situation. Er ruft „Stuhl“ auf die Bühne. Ein Schauspieler nickt und spricht’s ins Mikro. Köck scheint Spaß zu haben.

Die Kostüme sind grau, schwarz, weiß (wie meine Kleidung, denk ich -witzig, weil auch ich in ähnlichen Beschäftigungsverhältnissen wie die Figuren auf der Bühne). Es ist so voll, dass Menschen auf der Stiege sitzen.

Wie von Katharina Schwarz während des Interviews vor dem Stück beschrieben, beginnt der Text als Chor. Dann treten Figuren heraus und befinden sich in konkreten sozialen Situationen. Allerdings sind hier mehrere Sprachsituationen verdichtet. Eine junge Frau erzählt hier beispielshalber von einem Gespräch, das sie mit ihrem Beziehungspartner geführt hat. Sie fungiert als Erzählerin und sie erzählt es ihm, der Teil der Situation war. Aber sie erzählt es auch uns, dem Publikum. Irgendwie erzählt sie es auch sich selbst. Köck lässt sie ihre Erzählposition transzendieren und auf den Grenze der Sprechsituation auf und ab balancieren.

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Der Text ist sehr viel. Es ist wie eine Textorgie. Ich verstehe nicht jedes Wort, aber ich denke, das ist auch nicht nötig. Um mich zu schützen glaube ich jetzt mal, dass man gar nicht alles verstehen kann. (Um mich zu schützen, schreib ich, damit ich mir nicht denke, dass ich selbst schuld bin daran, dass es mir ein bisschen zu viel und zu schnell war.) Der Text bewegt sich wie ein sehr schnelles Bild; ein poetischer Film, den man nicht festhalten kann an einer Stelle. Man kann ihn nicht genau ansehen, er läuft auf seinem Tempo einfach weiter. Das ist geil, wird mir aber nach einer Stunde auch mal zuviel.

Es ist eine Krisenerzählung. Nicht die dominante. Nicht das große Krisennarrativ, das wir alle aus den Zeitungen und aus dem Fernsehen kennen. Die Verdichtung entleert das große Narrativ des Endes der Welt ein Stück und zeigt Funktionalitäten wie die mangelnde Solidarität, den Egozentrismus und die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg.

„Zuhause war so eine beschissene Idee der 50er Jahre.“ heißt es da.

Die Chefin unterdrückt zwar, aber es ist trotzdem auch so, dass die jungen Leute im Stück auch Opfer ihrer eigenen Taten sind. (Bourdieu lesen) Sie könnten sich ja auch zusammenschließen, solidarisch, und aufbegehren. Tun sie aber nicht.

Hihi, post-dramatische Schauspieler_innen erkennt man daran, dass sie ihre eigene Bühne selbst auf- und ab- und umbauen, denk ich.

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Die moderne Arbeitswelt ist abstrakt wie ein Computerspiel. Die Körper sind fremdbewegt von elektronischer Musik.

Man kann es schon moralisch finden, wenn die Chefin ihrem prekär angestellten Untergebenen sagt, sie – die Generation der 70er – hätten damals Geld angehäuft, würden aber nichts an sie – die Generation der 90er – abgeben. (Im Publikum lachen manche, ich auch, die sich irgendwie in ihrer Meinung bestätigt fühlen. Ich denk dran, dass sich meine Generation den Lebensstandard der Elterngeneration nicht leisten können wird.)

Ich mag, dass der Text sich nicht in postmodernen, ironischen Distanzierungen ergeht, sondern Meinung hat und Stellung bezieht. Das macht ihn angreifbar, streitbar und stark.

Nach einer Stunde bin ich müde, habe einen Einbruch, bin wahrnehmungsmüde.

Die Schauspieler_innen zeigen und blicken immer wieder nach oben. Was ist denn da? Was soll denn da sein? Die Wahrheit? Gott? Eine Antwort? Eine Festanstellung? Die Geschichte? Die Außenwelt?

Wieder eine Traumsequenz. Peers Erinnerung will sich ihm – dem Erzähler seiner eigenen Geschichte – nicht fügen. Sie widerspricht ihm und plötzlich kommt seine Chefin in die Erinnerung hinein, die doch gar nichts damit zu tun hat. Hallo, Burnout!

„Was für eine überflüssige Generation Sie doch sind.“, sagt die Chefin zu Peer.

Peer ist noch nicht mal 30, Assistent an diesem Zentrum für Glücksforschung und schon am Burn-Out dran. Am Ende bleiben nur er und die Chefin im Panikroom übrig. Dann schreit er, dass alles brennen soll. Das lieb ich. Die Idee, dass alles brennen soll. ❤

Die Apokalypse draußen. Drin sinnlose Arbeit, Zurückhaltung, Verzweiflung.


„jenseits von fukuyama“ will irgendwie alles. Gleichzeitig kann das Thema des Textes nicht auserzählt werden. Theaterplots, die von runden Figuren getragen und dramatisch erzählt werden, sind leichter zu verfolgen. Ein angenehmes Stück ist der Text von Thomas Köck nicht. Er ist vollgepackt mit Ist-Zustandsbeschreibungen, Theorien über die Welt und Meinungen zu sozialen, ökonomischen und ökologischen Situationen. Köck hat für sich eine besondere Art der verdichteten Erzählform gefunden, die einen erstmal mit offenem Mund vor der Textwand stehen lässt, immer wieder Lacher entlockt und potenziell anstrengend ist. Am Ende bin ich sehr froh, dass es den Text gibt und ich ihn jetzt kenne. Ich habe den Abend genossen. Aber jetzt sehne ich mich nach einem Moment der Stille.

Regie: Katharina Schwarz
Bühne, Sound: Samuel Schaab
Kostüm: Christina Helena Romirer
Regieassistenz: Natalie Assmann
Lichttechnik: Martin Schwab
Es spielen: Pilar Aguilera, Aleksandra Corovic, Johanna Rehm, Steve Schmidt und Dirk Warme
Rechte bei Suhrkamp Verlag Berlin
Theater Drachengasse
7. – 19. März und 30. März – 16. April 2016
Di-Sa um 20 Uhr

Produktionsfotos: © Andreas Friess / picturedesk.


Reihe „Thomas Köck und Wien. Der Anfang“
1 – Interview mit Regisseur Felix Hafner /“isabelle h. (geopfert wird immer)“ Volkstheater Wien.
2 – Interview mit Regisseurin Katharina Schwarz /“jenseits von fukuyama“ Drachengasse Wien.
3 – [you are here] Rezension von „jenseits von fukuyama“ Drachengasse.
4 – Rezension von „isabelle h. (geopfert wird immer)“ Volkstheater. [premiert 12.3.]

 

 

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