URAUFFÜHRUNG THOMAS KÖCK SCHAUSPIELHAUS WIEN
Thomas Köck hat dem Schauspielhaus Wien eine Portion Österreichische Revolution verpasst, Marco Štorman hat sie auf eine erdige Holzmanege gesetzt. Ist das zeitgenössisches politisches Theater?
nächste Vorstellungen: 6.-10., 13.-17., 20., 21., 29., 30. und 31. Dezember / je 20:00
Die Bühnensituation wird Sie wahrscheinlich überraschen, aber Sie werden sie mögen. Außer, Sie sitzen an einem der beiden Endes des großen Us, als das sich das Publikum um die erdige Manege drapiert. Zumindest der lange Monolog des Bauernführers Hans Kudlich (als androgyne, teils affektierte Puppe: Nicolaas van Diepen) ist nicht für das Publikum hinten inszeniert. Mir, dort, bleibt, das Hinterteil des anmutigen Riesen-Stieres anzusehen, der während des Stückes von der Hinterwand aus über die ganze Bühne entfaltet wird, bis er alles ausfüllt, der Stier. Ist das Zeus, der Stier, bereit Europa zu ‚begatten‘ – imposant, das erstaunlich einfache und ausdrucksstarke Bühnenbild von Jil Bertemann.
Spaß macht der neue Text von Thomas Köck auf jeden Fall. Verspielt, belesen und charmant stellt er Bilder aus dem Alltagsleben nebeneinander, verdichtet Phänomene unserer kulturellen, sozialen, politischen und ökologischen Umgebung zu massivem Textmaterial, das wie ein Gebirgsbach durch die Atmosphäre des Abends fließt. Köcks Humor ist befreiend und diskursbefördernd. So, wie er Smartphones und Fertigsuppen aneinander reiht, hüpfen die Assoziationen und Deduktionen in meinem wahrnehmungsoffenen Gehirn herum, dass es eine Freude ist. Hirnyoga fast, allerdings – natürlich – die anstrengende Art von Yoga. Dass Köck-Texte entspannend sind, wurde nie behauptet. Munter spielt der Dramatiker mit seinem Publikum das heitere Diskurse-Raten. Wieviel Prozent der Anspielungen haben Sie erkannt? Man möchte Köck fleißigen Maturant_innen vorlegen, um ihnen auf schulalltagsfremde Weise Geschichte, Geographie, Geologie, Soziologie, Politikwissenschaften, Medienkritik und Literatur beizubringen.
Der Text ist ein Appell, genau hinzuhören. Bumsti, der blau und vornehm gekleidete Bürgermeister-Anwärter (ausnehmend einnehmend: Peter Elter), sackerlt mit seinen wärmenden, auf eine schöne, feierliche Zukunft gerichteten „Vivat!“-Rufen nicht nur das von Kudlich eben befreite Bauerntum, sondern auch mich als Zuschauerin ein. Die zuversichtliche Stärke des „Vivat!“, die Besonnenheit Bumstis, ist wesentlich schöner als die Dekonstruktion der Machtverhältnisse, die die schwächliche Puppe Kudlich den nicht anwesenden Bauern entgegenschreit. Worte wie Demokratie, Konsens, Revolution, Freiheit, Verantwortung haben keine zielgerichtete Bedeutung mehr. Köck entlässt die Begriffe ins Karussell der politischen Mächte. Jede_r, der_die zum „Volk“ spricht, verwendet sie. Die Begriffe sind Mode und kein Inhalt mehr.
Anstrengend für mich sind die chorischen Sequenzen, die nicht nur als chorische Sequenzen an sich einer erhöhten Konzentration bedürfen, sondern auch teilweise zu schnell und undeutlich gesprochen werden. Ich frage mich, ob sie nötig sind. Szenen, Handlungsstränge und Figuren fließen ohnehin ineinander und geben gemeinsam dem Abend eine chorische Qualität.
Fragwürdig ist für mich die politische Aussage der Inszenierung. Einer der wesentlichsten Revolutionäre Österreichs wird mit rosa Rüschenbluse und Latzhose, blondiertem Deckhaar und dem feinen Gesicht Nicolaas von Diepens dargestellt. Das Programmheft verweist auf die geschichtswissenschaftliche Neuerkenntnis, dass Hans Kudlich nicht der große Bauernbefreier gewesen sei, als den ihn die österreichische Geschichtsschreibung positioniert.
Kudlich – eine Puppenschlacht. Da stehen also Puppen auf der Bühne, gelenkt von den großen Erzählungen der kapitalistischen Welt(ver)ordnung und der unbedingten Notwendigkeit von Selbstverwirklichung. Der Text bietet Multiperspektiven, die mir die Inszenierung nicht vermittelt. Ich verlasse nach fast 2 Stunden den Theaterraum mit einem sonderbaren Gefühl der belustigten Gleichgültigkeit gegenüber den politischen Ereignissen, die die Welt – nicht nur Österreich, nicht nur Europa, auch Amerika, Russland, Afrika und Asien – umzureißen drohen.
Stormans Inszenierung hat mich auf eine distanzierte Position gehoben, auf der ich mich gut fühle. Bis eine Zuschauerin im Treppenaufgang vor mir steht und mich fragt: Mit welchem Recht stellt man sich hin, völlig distanzlos aufgehend in den Phänomenen der Jetzt-Welt, und richtet über die Revolutionäre der Geschichte? Wo ist das politische Bewusstsein in dieser Art von Theaterproduktion? – Ist aus der Postdramatik das geworden: Hipsterisierung aller moralischen Werte? Lächerlichmachen aller politischen Agitation? Zynismus als letzter Wert, als Garant von Sicherheit einer sich selbst gegenüber blinden Mikrogesellschaft an vermeintlich wenig-privilegierten Privilegierten? Ist das politisches Theater heute?
Am Weg nachhause lese ich im Programmheft. Ich stolpere über Fragen, die der Begleittext stellt:
Bin ich soweit vorn in meiner politischen Reflexion? Sind diese Fragen nicht schon vor Jahren alle mit einem eindeutigen JA beantwortet worden? Wieso werden diese sehr zutreffenden Gegenwarts- und Gesellschaftsanalysen als Frage gestellt? Die Infragestellung an sich wirkt auf mich fast reaktionär. Wir müssten doch schon über die Fragen hinaus, in einem neuen politischen Handeln drinnen sein. Wir müssten schon längst für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen. Wir müssen die neue Soziale Frage bereits ausgearbeitet haben und zumindest erste Antworten diskutieren. Schon längst werden weltweit Alternativen zum grenzenlosen kapitalistischen System entwickelt und ausprobiert. Wo ist zeitgenössisches Theater anzusiedeln, wenn es diese Entwicklungen als Fragen kommentiert? Zumindest eine Diskussion zu diesem Thema wird in naher Zukunft zu führen sein.
Der Text macht Spaß. Das epische Erzählen, für das sich Köck über weiter Stecken entscheidet, ist bezaubernd dicht. Man will den Text nachlesen und ein bisschen mit ihm leben. Die Figuren changieren, vermischen sich. Der Stier auf der Bühne ist so geil! Sie sehen Max Gindorff oben ohne und dramatisch sterben. Gehen Sie, und schauen Sie sich das an. Also: das ganze Stück, nicht nur den schönen Max.
Letzte Vorstellung am 31. Dezember 2016Aufführungsdauer ca. 1 ¾ Stunden, keine Pausemit Nicolaas van Diepen, Max Gindorff, Lisa Maria Sexl, Peter Elter und Katharina Haudum.
Bildrechte – Vorstellungsbilder: (c) Matthias Heschl. Autorenfoto: (c) Thomas Köck. Foto Zettel mit QR Code: (c) Clara Gallistl.
„Thomas Köck und Wien. Der Anfang“ versammelt alle auf callisti1010 erschienenen Rezensionen und Interviews zur Wiener Theaterarbeit Thomas Köcks. Dies ist eine Empfehlung, sich mit diesem Autor zu beschäftigen! bussi!!
Zur Rezension von Theresa Luise Gindlstrasser hier der Link zur Nachtkritik!